lemmi hat geschrieben: Sonntag 2. Februar 2025, 15:40Poethke schreibt " es lässt sich zeigen, dass
jede Titrationskurve, also auch die starker Säuren bzw Laugen mehr oder weniger unsymmetrisch ist, und daß der Wendepunkt
vor dem Äquivalenzpunkt liegt."
ich hab mir das noch mal genauer angeschaut und nachgerechnet. Berechnungsgrundlage ist die exakte Lösung aller Gleichgewichtsbedingungen inkl. KW. Hier das Gleichungssystem zu einer einbasigen, schwachen Säure, mit Hilfe von Mathematica nach Volumen aufgelöst:

- Gleichungssystem.png (84.55 KiB) 261 mal betrachtet
Bis auf die Effekte der Aktivitäten sollte somit alles drin sein und keine Näherung zuschlagen.
Die berechnete Kurve zB einer Titration von 100 ml einer schwachen, einbasigen Säure von zB pKa = 4 (0,1 M) mit NaOH (0,1 M) schaut super ideal und rein visuell völlig symmetrisch aus:
Der Neutralpunkt (pH des Salzes) errechnet sich in mittels -log10((wurzel(KA*KW/c) = log10(wurzel(10^-4*10^-14/0,05)) = 8,35
(es gibt noch eine andere Darstellungsform über die korrespondierende Base die vielleicht bekannter ist: pH = 14 - 1/2 · (pKB - lg c(B)); ist aber mathematisch identisch) der Wendpunkt in der Berechnung tritt bei pH 8,35 auf. Und das ist auch exakt der ÄP mit 100 ml Verbrauch. Keine Abweichung, egal wie man es berechnet.
Versuchen wir mal zum Vergleich eine noch schwächere Säure, an der Grenze der Titrierbarkeit mit pKs = 8, wieder jeweils 0,1M Lösungen. Nun sollte der Neutralpunkt lt Formel bei 10,35 liegen.
und wieder: beim ÄP beträgt der Verbrauch 100,0 ml = genau der Wendepunkt. Der pH ist dort 10,35. Alles deckt sich.
Aber sehen wir uns mal eine zweibasige Säure an - vielleicht ist es ja hier das gekoppelte System das uns den Ungemach verursacht. Gleichungen sind auch wieder vollständig und exakt gelöst, Details der längeren Formel erspare ich euch kann ich aber im Bedarfsfall gerne einstellen
Nehmen wir also 2 pKS-Werte die schwach sind aber noch nicht zu viel überlappen, zB 3 und 7; Neutralpunkte der Salze bei 5 und 9,76. Kurve sieht so aus:
bzw im Detail beim 1. ÄP so:
Wendepunkt ist genau wieder bei 100 ml = ÄP, der pH stimmt sehr gut zusammen mit der Formel-Berechnung pH = (pKs1 + pKs2)/2 (5,0 vs 5,0044 - mag sein dass meine Kurvenberechnung da schon exakter die zweite Dissoziationsstufe einbezieht...).
bzw im Detail beim 2. ÄP so:
Was soll ich sagen. gleicher Befund. Wendepunkt und ÄP stimmen zusammen. 9,76 berechnet als -log(wurzel(KA2*KW/c)), simuliert in der Kurve, und als Wendepunkt und ÄP gefunden.
Meine Conclusio: ich kann nicht nachvollziehen, dass Wendepunkt und ÄP nicht zusammenfallen sollten oder eine Asymmetrie vorhanden wäre. Gerne möge man mir aufzeigen wo denn die Asymmetrie auftritt, ich finde sie nicht. oder wo der "wahre" ÄP denn tatsächlich sei oder meine Berechnung einen Fehler oder Ungenauigkeit aufweist. Sollte sie unter der im Rahmen meiner numerischen Auswertung möglichen Genauigkeit liegen (irgendwo im Bereich der x-ten Nachkommastelle) dann sei mir verziehen dass ich das als nicht relevant erachte
Er führt drei Publikationen desselben Autors zwischen 1928 und 1935 auf, die das belegen sollten.
Ich konnte die letzten Beiden finden (Roller PS: Theory of the Error of Acid-Base Titration; J Am Chem Soc 54 (1932): 3485-3499 und Roller PS: Theory of the Error of Acid-Base Titration; J Am Chem Soc 57 (1935): 98-100)
Danke für die Literatur dazu, ist ganz interessant (und am üblichen Weg via scihub verfügbar...)
Was lese ich da raus:
Zunächst beschäftigt er sich mal vor allem mit der "
finite sensitivity of the end-point indicator", durchaus wichtig. Egal ob Umschlagbereich des Farb-Indikators oder Messungenauigkeit des Volt-Meters.
Die Aussage "
For a given sensitivity, the magnitude of the titer error increases with decrease in rate of change of PH at the end-point. A weak acid is thus less accurately titrated than a strong one." ist auch so weit so trivial bzw bestätigt auch nochmal warum es wichtig ist, die erste Ableitung dpH/dV (rate of change of pH) zu betrachten. Spannend für uns ist vor allem der Teil über potentiometrische Auswertungen: "
For the latter the condition of the appearance of an inflection point and the magnitude of its deviation from the stoichiometric point are given."
Lustigerweise schriebt er dann:
"Eastman came to the conclusion that [..] the inflection point may deviate from the stoichiometric point or might not appear at all. His numerical result for the condition of the appearance of an inflection point was shown to be erroneous his other numerical results are also in error as shown below". Lustig deswegen weil einerseits wollte er ja genau diese Abweichung erforschen, also warum "erroneous"? Lustig andererseits weil er genau diese Aussage dann in seiner zweiten Publikation 1935 widerruft
Mit dem was folgt tue ich mir schwer:
Einerseits fallen diese Gleichungen hier total vom Himmel, sind nicht hergeleitet und auch noch unvollständig ( die + ... + ).
Wo kommt der Vorfaktor +/- 200 her?
der sinh deutetet darauf hin dass versucht wurde die Funktion pH(V) explizit aufzulösen.
Auch sonst etwas schwer nachvollziehbar mit den Unmengen an Indizes. Das hier:
Hinterlässt bei mir nur viel Kopfkratzen was sich auf was bezieht oder wie signifikant ist
Wie auch immer, was die Aussagen daraus bzgl Symmetrie sind, dazu schreibt er:
"On close examination it is seen that the concentration substantially affects the results only in the case of the unsymmetrical titration, as of a weak acid by a strong base, but not in the case of the symmetrical titration as of a weak acid by a weak base or of the second H of a dibasic acid by a strong base."
ich lese daraus mal dass er unter "unsymmetrical" nur versteht dass es ein Paar Stark/Schwach ist, was aber per se keine "geometrische" Bedeutung iSe unsymmetrischen Kurve haben muss. Dass er das zweite H einer dibasic acid in einen Topf wirf mit dem ersten und als symmetrisch bzgl starker Base bezeichnet finde ich bedenklich. Ich glaube es ist ein Tippfehler, er meinte das erste H. Sonst stimme ich zu.
Dann folgt die Aussage:
"For the unsymmetrical titration the titer error is substantially proportional to the square root of the molar concentration at the end-point."
das kann nicht stimmen. Der Titerfehler steigt mit der (Wurzel der) Konzentration? Das Gegenteil, denn je verdünnter desto flacher wird die Kurve, bis irgendwann nix mehr da ist was man titrieren könnte. Außerdem widerspricht er sich noch auf der selben Seite selbst indem er schreibt:
"Dilution of the reagent solution results in a lower concentration of the components at the end-point, and consequently in an increased titer error for the unsymmetrical titration."
ach was, lower concentration = increased error, jetzt sind wir uns ja wieder einig
Auch was seine Schlüsse in Bezug auf die Genauigkeiten der Indikation betrifft stimme ich ihm zu:
"Assuming that the e.m.f. error is 0.5 m.v., and the color indicator error ±0.1 pH, it is seen from the equations given above that the absolute electrometric titration is intrinsically about twelve times as sensitive, and the inflection point titration three times as sensitive, as the color indicator titration."
Am besten = auf den absoluten pH des ÄP gehen. Am zweitbesten mit Ableitung ermitteln. Am wenigsten genau = mit Indikator (wobei er eine recht sportliche Anforderung stellt den Indikator auf ±0.1 pH genau visuell zu erkennen...)
Auch später, bei der genaueren Betrachtung der Wendepunkt-Methode schreibt er:
"For the unsymmetrical titration of the first H of a weak acid (Figs. 5 to 8.) there is in every case seen to be a maximum or minimum, and therefore an inflection point, precisely at the stoichiometric point."
Na bitte! Schwarz auf weiß, Wendepunkt passt!
Zu "Deviation of the Inflection Point from Stoichiometric Point" schreibt er:
"Examination of the general condition given by (8) or (8') shows, in conformity with the graphical analysis, that in the symmetrical titration an inflection point will always appear, but may not appear in the unsymmetrical titration."
Auch das ist nachvollziehbar, siehe zB der Versuch das dritte Proton von Phosphorsäure zu erwischen. Da oben gibt's nur eine "Delle" aber keinen Wendepunkt mehr. Starke Säuren haben das aber immer.
Dann folgt:
"The deviation in PH of the inflection point from the stoichiometric point in the titrations, respectively, of an acid and basic solution is given by equations (9) and (9’)."
und eine lange Formel die wieder mal aus dem Nichts fällt und erneut eine Widersprüchliche Interpretation:
"in other words, the inflection point may precede, follow or coincide with the stoichiometric point. More explicitly it is seen in agreement with the graphical analysis that the inflection point deviates from the stoichiometric point in the unsymmetrical titration, but coincides with the stoichiometric point in the symmetrical titration."
Huh? Was haben wir 2 Absätze vorher festgehalten? "For the unsymmetrical titration ... there is an inflection point,
precisely at the stoichiometric point."?
Ich kann den nur bedingt ernst nehmen so...
Wie auch immer, ist ja schon 90 Jahre her
Was ich als qualitative Aussage lese ist, dass es bei Titration schwacher Säuren mit starken Laugen eine asymmetrische Kurve gibt und der Äquivalenzpunkt vom Wendepunkt abweicht. Das ist mir nicht einsichtig. Und wie Poethke auf die Aussage "selbst starker Säuren bzw Basen" kommt, erst recht nicht.
Na dann sind wir schon zu zweit
(und vorher die Elektrode in NH4 baden).
das macht keinen Unterschied, nur bei längerer Lagerung
