die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

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lemmi
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die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von lemmi »

In einem Kühlschrank, der seit ca 2 Monaten unbenutzt (und leer) offenstand fand ich eine sonderbare Substanz: auf dem obersten Einlegeboden (aus Glas), direkt unter dem Gefrierfach, war etwas in breiter Fläche schön strahlig auskristallisiert. Leider war ich nicht geistesgegenwärtig genug, ein Foto "in situ" zu machen. Ich habe die Substanz abgekratzt und ausgewogen: es waren 1,3 Gramm. Hier ein Bild:

IMG20250106193914.jpg

Was kann das sein?

Die Kristalle sind sehr gut wasserlöslich, aber an der Luft nicht hygroskopisch. 265 mg zerrieben und 24 Stunden im Exsikkator über Schwefelsäure stehen gelassen wogen danach noch 257 mg.

Schmelzpunktbestimmung: bei 129,4 °C trat die Spiegelbildung ein, der Klarschmelzpunkt beträgt 131,4 °C

Trocken erhitzt, schmilzt die Substanz zu einer wasserklaren Schmelze, verdampft vollständig und an den oberen Reagenzglasteilen setzt sich wenig Feuchtigkeit sowie ein weißes Sublimat an. Es riecht stark nach Ammoniak, ein in den Gasraum gehaltener Tropfen Barytwasser bleibt aber klar. Ein Rest am RG-Boden wird wieder fest, färbt sich gelblich und verdampft erst etwas später.

IMG20250106213102.jpg

Der Rückstand nach dem Abkühlen ist weiß und in Wasser sehr schwer löslich,

IMG20250106213229.jpg

er löst sich aber in der Kälte in Ammoniak 3N und beim Erwärmen auch in Salzsäure 3N. Mit Natronlauge gibt er eine fast klare Lösung, die sich bei Zusatz eines Tropfen Kupfersulfatlösung dunkelblau, aber nicht violett, färbt und trübe bleibt. Beim Erhitzen fällt schwarzes CuO , aber kein Cu2O aus.

Die Tests auf folgende Anionen waren negativ: Chlorid, Sulfat, Nitrat, Phosphat, Carbonat

Es handelt sich nicht um ein Ammoniumsalz! Der Test mit Magnesiumhydroxid und Lackmuspapier war völlig negativ.

IMG20250106201820.jpg

Ebenfalls negativ waren die Tests mit Bettendorfs Reagenz und Natriumsulfid in salzsaurer Lösung (... man weiß ja nie :wink: )

Der Lassaigne-Aufschluss war (erwartungsgemäß) positiv für N, aber negativ für S und Halogen

Habt ihr eine Idee, worum es sich handeln könnte? Welche weiteren Analysen würdet ihr vorschlagen?
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Ralf
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von Ralf »

Harnstoff vielleicht. Der Biuret-Test spricht dagegen, aber das kann auch fehlerhaft gewesen sein.
Reagiert es in Wasser sauer oder neutral oder basisch? Das würde ich noch testen.
Den Biurettest wiederholen, aber vorher weniger erhitzen.
Löslichkeit in Ethanol bestimmen.
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Schnippschnapp
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von Schnippschnapp »

wenn man es mit NaOH zusammen erhitzt, dann kriegt man doch mehr als eindeutige hinweise, ob es urea ist :)...
Ich hab das neulich erst gemacht. Ich wusste aber gar nicht, dass Urea auch ohne NaOH schon nach Ammoniak riecht. Mixt man beides zusammen passiert noch nicht viel, man muss es schon erhitzen, dann sieht man auch schnell einen Natriumcarbonat-Stein. Lemmi hat ja gesagt, e hat es erhitzt, aber unter Zugabe von Kupfersulfat.

(war vielleicht Verschleierungstaktik von ihm :) )
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Ralf
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von Ralf »

Er hat die Substanz zersetzt und den Rückstand (Biuret vermutet) mit Kupfersulfat getestet.
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aliquis
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von aliquis »

Mein Vorrat an Harnstoff ist vollkommen geruchlos.
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Schnippschnapp
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von Schnippschnapp »

Er hat die Substanz zersetzt und den Rückstand (Biuret vermutet) mit Kupfersulfat getestet.
edit ok verstehe.
aliquis
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von aliquis »

Zuviel, das in Frage käme, ist schon ausgeschlossen.
Von daher bin ich grad völlig lost... :idea2: und hoffe, es war der Labor- und nicht der Küchenkühlschrank... :lol:
Auch aus der Apothekenauflösung?

lemmi, Du selbst weißt aber, was es ist, oder?
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Schnippschnapp
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von Schnippschnapp »

des is leicht des is Universalspezifikum.
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lemmi
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von lemmi »

@schnippschnapp: :lol:

@aliquis: nein, ich weiß tatsächlich nicht, was es ist! Und der Kühlschrank war nicht der Laborkühlschrank sondern ein normaler Kühlschrank in dem nur Lebensmittel stehen.

@Ralf: Harnstoff ist auch mein Favorit. Der Schmelzpunkt kommt hin, das Verhalten beim Erhitzen auch und die Lösung gibt mit Salpetersäure auch einen weißen Niederschlag. Nur der negative Biuret-Test stört mich. Aber das werde ich noch mit einer Derivatisierung weiter verfolgen.
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aliquis
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von aliquis »

Achso, erst aufgrund des neg. Biuret-Tests hatte ich Harnstoff ausgeschlossen und ab da nicht mehr gewusst, was es sonst sein sollte.
Kristallform, Schmelzpunkt, Ammoniak beim Erhitzen - all das sah zu sehr nach Harnstoff aus.
Wobei: ich muss mal in meinem Laborordner nachschauen, ich glaube, das Ausbleiben der violetten Färbung hatte ich bei Urea auch schon mal. Ich meine, dass es auch davon abhing, wieviel Harnstoff man wie lange erhitzt, ob der Test gelingt, bin mir aber nicht ganz sicher.
Stets eindeutig positive Kalt-Proben hatte ich immer nur mit Eiweiss.

Jetzt noch die Frage: wie kommt der Harnstoff in einen Küchenkühlschrank?
Hatte da ein anderer Hobbychemiker ein Uppsala beim Kristallisieren?
Urea wäre einer der wenigen Stoffe, die ich auch noch in einen normalen Kühlschrank mit Lebensmitteln stellen würde...
Ich meine, reingep....... wird da ja wohl hoffentlich keiner haben... :lol:
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mgritsch
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben: Dienstag 7. Januar 2025, 23:31 In einem Kühlschrank, der seit ca 2 Monaten unbenutzt (und leer) offenstand fand ich eine sonderbare Substanz: [...]
Habt ihr eine Idee, worum es sich handeln könnte?
Also ich war mir auch nicht sicher ob das eine reale Fragestellung ist oder du uns eine Challenge/Aufgabe stellen wolltest ;)
Aber okay, real, du weißt wirklich nicht was es ist.

Zur "Tatort-Anamnese":
Ein Kühlschrank, auf dem obersten Einlegeboden (aus Glas) --> was kann dort überhaupt eine Kristallabscheidung welcher Art auch immer verursachen? Schließen wir mal das Glas aus, dann bleibt ein Inhalt der dort verschüttet wurde oder die Kunststoff-Auskleidung als Quelle. Sublimation aus dem Gasraum würde ich ausschließen, das würde sich auf allen kalten Flächen niederschlagen und nicht nur auf dem Glasboden. Kunststoff-Auskleidung als Quelle - da könnten es allenfalls herausgelaugte Weichmacher sein > Phthalate oder Phthalsäure. Gibt es Hinweise auf eine Beschädigung der Kunststoffteile? Wenn nein, dann sind wir bei beliebigen Flüssigkeiten die verschüttet wurden und etwas interlassen haben.

Der Vermutung Harnstoff würde ich mich dann durchaus anschließen, da passt fast alles, auch die Kristallform https://www.alamy.de/harnstoff-conh22-b ... 18890.html

Mach Biuret-Probe mal mi dem schwerlöslichen Rückstand nach Erhitzen (nicht zu hoch, sonst wird Cyanursäure das Hauptprodukt) und evtl mit saurem Kat (Fe, Bi, Al), dann sollte das tatsächlich einiges Biuret enthalten.
Harnstoff selbst sollte frei davon sein (ist sogar als starkes Pflanzengift in Produkten nur mit Grenzwert erlaubt, IIRC) und zeigt für sich mangels Strukturelement keine positive Probe.

Bleibt die Frage wie das dort hin gekommen ist :) wer bewahrt Harnstofflösungen in einem Kühlschank auf bzw. verschüttet diese ohne aufzuwischen und gibt ihnen dann sogar noch in Ruhe Zeit so schön zu kristallisieren?
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von aliquis »

Ich hab mal ein bisschen recherchiert:
- tierische Lebensmittel wie Fisch etc. geben höchstens Harnsäure, aber keinen Harnstoff ab - zumindest nicht im leblosen Zustand... :angel:
- Harnstoff ist Lebensmittelzusatzstoff. Aber wer rührt sich schon seinen eigenen Kaugummi an?
- Wesentlich wahrscheinlicherer "Grund für den Fund": eine auskristallisierte Harnstoff-Creme - oder eine geplatzte Instant-Kühlpackung nach Verwechslung mit einem wiederverwendbaren Kältepack.

@mgritsch
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lemmi
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von lemmi »

Okay, die Substanz ist leider nicht das Universalspezifikum ( :lol: )...

1. Ich habe die Biuretprobe mit kürzerem Erhitzen wiederholt - eindeutig stark positiv:

IMG20250109130027.jpg
2. Dann habe ich eine kleine Menge aus heißem Ethanol umkristallisiert. Der Klarschmelzpunkt betrug nun 133 °C.

3. habe ich das Dixanthylderivat hergestellt. War zwar eigentlich nicht mehr nötig, aber die Methode hat mich gereizt. Die Anleitung lautet:

IMG_20250109_181630.jpg

Das wurde dann doch eine gewisse Herausforderung! Es ging damit los, dass sich Xanthydrol nicht zu 10% in Ethanol löst. Also habe ich 50 mg mit 0,5 ml Ethanol und den angegebenen 2 ml Eisessig geschüttelt, bis eine klare Lösung entstand, mit der Lösung einer knappen RG-Rundung Substanz in 2 ml Wasser versetzt und 4 Stunden stehen gelassen:

IMG20250109190933.jpg

Die Isolierung ging beim ersten Mal schief. Nach dem Auskochen habe ich die Substanz auf der Fritte (eigentlich ein Filtertiegel) getrocknet - und konnte sie nicht mehr runterkratzen, so wenig war es. Beim zweiten Anlauf habe ich eine Mikrofritte verwendet, die Substanz feucht herausgekratzt und getrocknet. Es waren 10,6 mg. Dann habe ich fast wieder alles verloren, als ich sie in meiner kleinsten Reibschale zerrieben habe. Das Zeug lädt sich nämlich stark elektrostatisch auf und lässt sich nicht aus der Schale kratzen! Mit einem Pinsel konnte ich gerade so viel retten, dass es für eine Smp-Kapillare reichte. Da sich der Stoff beim Schmelzen dunkel färbt, konnte ich nur die Spiegelbildung feststellen: 268,0 °C. Passt!

Es ist also unzweifelhaft Harnstoff. Ich habe noch ungefähr die Hälfte übrig, die hebe ich als Trophäe auf!Aber wie der in den Kühlschrank gekommen ist (der Besitzer hat nichts mit Chemie zu tun), wird wohl ein Rätsel bleiben...
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von aliquis »

lemmi hat geschrieben: Sonntag 12. Januar 2025, 23:01 wie der in den Kühlschrank gekommen ist (der Besitzer hat nichts mit Chemie zu tun), wird wohl ein Rätsel bleiben...
aliquis hat geschrieben: Mittwoch 8. Januar 2025, 13:57 "Grund für den Fund": eine auskristallisierte Harnstoff-Creme - oder eine geplatzte Instant-Kühlpackung nach Verwechslung mit einem wiederverwendbaren Kältepack.
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mgritsch
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Re: die rätselhafte Substanz aus dem Kühlschrank

Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben: Sonntag 12. Januar 2025, 23:01 und konnte sie nicht mehr runterkratzen, so wenig war es.
Den Nachweis kannte ich nicht, interessant. Scheint aber nicht so quantitativ zu klappen? Warum so sparsam angesetzt?
Es ist also unzweifelhaft Harnstoff.

:thumbsup:
Andere Idee wenn es wieder mal Harnstoff nachzuweisen gilt: Urease erzeugt daraus Ammoniak, sogar titrierbar…
wie der in den Kühlschrank gekommen ist (der Besitzer hat nichts mit Chemie zu tun), wird wohl ein Rätsel bleiben...
Vielleicht hat er mal AdBlue darin gelagert, das wäre heutzutage die verbreitetste Quelle.
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