Alles fing damit an, daß meine Tochter für eine Physikarbeit lernen musste.
- „Papa! Ich hab‘ das mit der Knallgaszelle nicht kapiert!“
Also habe ich mich mit meinem Nachwuchs hingesetzt und die Elektrolyse des Wassers erklärt, so gut das in der 8. Klasse geht. Anode, Kathode, die Entladung der Ionen und so weiter.
- „Aber Papa, ich versteh‘ das nicht! Wieso steigen die Blasen da nach oben in die Gläser“
- „Na, Gas steigt in Wasser doch nach oben! Das weißt du doch! Denk dran, wenn du Luft durch einen Strohhalm in deine Limonade pustest!“ (das darf sie eigentlich nicht)
- „Was? Die sind mit Wasser gefüllt?“
Die Zeichnung im Physikheft zeigte keine Knallgaszelle, sondern einen Elektrolyseapparat in dem die entstehenden Gase in umgekehrten Reagenzgläsern getrennt aufgefangen wurden
- „Ja natürlich sind die mit Wasser gefüllt, sonst ist doch Luft drin und man kann die Gase nicht auffangen“
- „Und wie stellt man die da rein, ohne daß das Wasser ausläuft?“
In mir stieg ein Verdacht hoch
- „Sag mal ... habt ihr den Versuch denn nicht gemacht?“
- „Nee! Unser Lehrer hat gesagt, das geht nicht! Knallgas ist viel zu gefährlich!“
Ich musste erst mal meine Kinnlade mit der Hand wieder nach oben schieben. Dann habe ich Dinge gesagt, die, fürchte ich, der Autorität des Lehrers ziemlich abträglich sind. Falls Sie der Lehrer sind und diesen Post lesen: entschuldigen Sie bitte meine Ausdrucksweise, aber Sie sind ein Depp! Was für eine Vorstellung vermitteln Sie ihren Schülern denn von Wissenschaft? Alles gefährlich - am besten lässt man die Finger davon! Soll das motivierend sein, die Grundlagen der Physik und Chemie zu lernen, die - da sind wir uns doch hoffentlich einig - zur Allgemeinbildung gehören? Vielleicht waren Sie ja auch nur zu faul um einen echten Versuch vorzubereiten? Aber das ist eine bösartige Unterstellung – das nehme ich zurück. Nehmen wir an, Sie glaubten wirklich, eine Knallgaszelle sei ein gefährliches Ding. Dann lesen sie bitte aufmerksam weiter!
Ich jedenfalls sann darauf, das schiefe Weltbild meiner Tochter wieder geradezurücken. Als erstes habe ich mein altes Laborbuch von 1980 hervorgekramt in dem ich eigenhändig notiert hatte, wie man eine richtige Knallgaszelle baut:

Heute kann ich zugeben, daß ich damals etwas dick aufgetragen hatte. Weder damals noch heute bin oder war ich im Besitze eines Platinblechs. Aber ich erinnerte mich noch sehr gut, wie der Kupferdraht beschaffen war, den ich für die Elektroden verwendet hatte. Also habe ich im Baumarkt ein Meter eines Elektro-Installationskabels gekauft, aufgeschlitzt und die Seelen, die aus einadrigen Kupferdrähten von 1,7 mm Dicke bestehen, genommen, um die zweite Knallgaszelle meines Lebens zu basteln:

Als Zelle dient eine 75 ml – Weithalsflasche mit Korkstopfen (ich glaube, diese Flasche ist auch schon historisch). Der Draht (ca. 45 cm lang) wird an einem Ende auf 30 cm abisoliert und um einen Bleistift herum zu einer Spirale gewickelt, die so lang ist, wie der zylindrische Teil der Glasflasche. In den Korken werden drei Löcher gebohrt: eines zentral, das 6 mm weit ist und zur Aufnahme des Gasableitungsrohres dient. Daneben noch zwei, eines links und eines rechts, von je 2,5 mm Weite, durch die die isolierten Enden der Elektroden hindurchgeschoben werden. Damit alles dicht ist und die Kabel sich nicht drehen, habe ich die Ober- und Unterseite des Korkes mit einem schnell härtenden 2-Komponenten-Kleber überzogen. Die oben aus dem Kork herausragenden Kabel werden nach hinten umgebogen und an den Enden ebenfalls ein Stückchen abisoliert.

In die Flasche füllt man 60-70 ml 5 %ige Kalilauge (mögliche Schaumbildung berücksichtigen!) und setzt den Stopfen dicht auf. So sieht die betriebsbereite Knallgaszelle aus (weil mein Gummischlauch etwas zu weit ist, habe ich das Ende des Glasrohrs mit Tesafilm umwickelt).

Über ein Netzteil wird eine Gleichspannung von wenigen Volt angelegt. Das sich bildende Gas leitet man in eine kleine pneumatische Wanne. Die Gasentwicklung ist in der Zelle so lebhaft, daß die Flüssigkeit von den feinen Bläschen ganz trüb erscheint. Aus dem Schlauch tritt das Knallgas in gemächlichem Strom aus, etwa 2 Blasen pro Sekunde (8 mm Glasrohr).

Zunächst habe ich - unter dem ehrfürchtigen Staunen des Publikums - die Knallgasprobe mit kleinen Reagenzgläsern (100 mm lang) gemacht. Ich muss gestehen, daß auch ich etwas in Sorge war, uns könnten die Splitter um die Ohren fliegen, obwohl mir das noch nie passiert war. Aber nichts dergleichen. Das Gas entzündet sich an der Spiritusflamme mit einen peitschenden, pfeifenden Knall, der beim zweiten Mal, nach Verdrängung der Luft, deutlich schärfer war als beim ersten- das war aber auch alles!
Als nächstes habe ich das Gas in etwas Seifenwasser (Wasser mit Spülmittel) geleitet. Die unscheinbaren, erbsengroßen, ganz gleichmäßigen Schaumbläschen, die dabei entstehen, hatte ich noch deutlich in Erinnerung. Dann habe ich ein langes, brennendes Streichholz darangehalten.

Ich erinnerte mich auch noch daran (es stand auch im Laborbuch), daß man den Schlauch der Knallgaszelle weit genug weg legen sollte, bevor man den Knallschaum entzündet. Auch, daß man den Mund etwas geöffnet halten sollte, um Druckausgleich über das Mittelohr zu ermöglichen, wusste ich noch. Was mir nicht mehr in Erinnerung war, war die Lautstärke des Knalls! Ich bin alles andere als ein Militarist, aber ein Pistolenschuss muss ungefähr so klingen (ich rate allen Vätern, die ihren Töchtern diesen Versuch vorführen, nicht mehr Knallgasschaum zu entzünden als auf dem Foto – so etwa eine Fläche von 6-7 cm Durchmesser! Nicht mehr!).
Dann haben wir noch die Geschwindigkeit der Knallgasbildung gemessen. Um einen 50 ml – Meßzylinder zu füllen benötigten wir 2 Minuten und 6 Sekunden (meine Tochter hat die Stoppuhr betätigt). Im Physikheft steht, daß zur Abscheidung von 0,19 cm3 Knallgas ein Coulomb benötigt wird. Ich habe also 50 : 0,19 = 263,16 Coulomb in 126 Sekunden durch die Knallgaszelle gejagt, das entspricht einer Stromstärke von 2,088 Ampere. (Und das Netzteil hat angeblich eine Höchstdurchsatz von 1,5 Ampere mit einer elektronischen Sicherung. Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß nicht unter Normalbedingungen gearbeitet wurde, beträgt der Fehler wohl kaum 25%!?) Aber die am Gerät angezeigte Spannung ließ sich nicht über 4 Volt hinaus erhöhen. Etwa ab der Mittelstellung des Drehreglers blieb die Nadel auf dieser Stelle der Skale stehen (was ich nicht richtig verstehe! Könnten Sie mir das bitte erklären?).
Nach dem Versuch wird klar, wieso Kupfer nicht das optimale Elektrodenmaterial ist: an der Anode hat sich schwarzes Kupfer-II-oxid gebildet (eigentlich hätte also sogar noch etwas mehr Gas - Sauerstoff - gebildet werden sollen!).


Das Knallgas war offensichtlich dennoch brauchbar. Sehen Sie, so macht man das! In der nächsten Klasse führen Sie den Versuch mal vor, abgemacht?
Meine Tochter wird jedenfalls die Elektrolyse des Wassers, und was Knallgas ist, nie wieder vergessen!
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr
lemmi