Im Jahre 1811 beobachtete der Chemiker Bernard Courtois (1777 - 1838) beim Erhitzen der Asche von Seetang mit Schwefelsäure das Auftreten violetter Dämpfe, die sich zu schwarzen Kristallen verdichteten. Er wurde damit zum Entdecker des Elements Iod, dessen Elementcharakter freilich erst 1814 (durch Gay-Lussac und Davy) erkannt wurde. Seetang wurde an Europas nördlichen Küsten seit Jahrhunderten geerntet, verbrannt und die Asche auf Soda verarbeitet (Natriumcarbonat, im Gegensatz zur Asche von Landpflanzen, die Kaliumcarbonat - Pottasche – liefert). Das altenglische Wort Kelp für Seetang wurde in der Neuzeit allgemein verwendet und Kelp und seine Asche waren ein wichtiger Handelsartikel. Bis ins 20. Jahrhundert war die Kelp-Asche tatsächlich das Ausgangsmaterial für die Darstellung elementaren Iods, das dementsprechend teuer war.
Die Angaben über den Iodgehalt von Tang, die sich in der Literatur finden, sind stark schwankend. Fest steht lediglich, dass die Pflanzen das Element, welches im Meerwasser zu etwa 50 ppb vorhanden ist, stark anreichern. Ob diese Tatsache eine biologische Funktion erfüllt und welche das wäre, ist nicht befriedigend geklärt. Während einer Reise durch die Bretagne fand ich im Sommer bei einer Standwanderung angeschwemmte Algen in allen Farben, darunter schöne Exemplare von Palmentang. Wieviel Iod mochte er wohl enthalten?
Algen am Starnd von Saint-Malo, September 2025
Palmentang (Laminaria hyperborea)
Die hier beschriebene Analysemethode wurde ursprünglich für die Bestimmung des Iodgehalts in getrockneter Schilddrüse – zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach der Entdeckung der endokrinen Funktion derselben therapeutisch genutzt – entwickelt. Sie kann gut auf andere organische Materialien übertragen werden. Elegant ist dabei eine “Verstärkerwirkung“, welche die Bestimmung auch sehr kleiner Iodmengen (unter 1 mg) erlaubt.[1]
Material/Geräte:
Gasbrenner, Dreifuß, Drahtnetz, Tondreieck, Nickeltiegel mit Deckel (35 ml), Tiegelzange, Reibschale, Waage, Bechergläser, Trichter, Faltenfilter, 500 ml-Weithalserlenmeyerkolben, Pipetten, Glasstab, Bürette, Magnetrührer
Chemikalien:
Natriumcarbonat, wasserfrei

Kaliumcarbonat

Kaliumnitrat

Schwefelsäure 35% (ca. 9N)

Natronlauge 16% (4N)

Phenolphtaleinlösung 1 %

Citronensäure-Monohydrat

Kaliumiodid

Chlorkalk

Talkum
Natriumthiosulfatlösung 0,02 N
Stärkelösung 1 %
Sicherheitshinweis:
Beim Eindampfen der Untersuchungslösung wird etwas Chlorgas frei, weshalb am offenen Fenster oder unter einem Abzug gearbeitet werden muss!
Versuchsdurchführung:
Der Tang wird mit Süßwasser abgewaschen und zunächst an der Sonne, später bei leicht erhöhter Temperatur (40-50 °C) im Backofen getrocknet. Die anfangs braune Farbe geht dabei zurück, und ein dunkles Grün tritt hervor. Der getrocknete Tang ist hart und spröde und lässt sich leicht in der Reibschale pulverisieren.
Nitrataufschlussmischung: in einer Reibschale werden 3,3 g Natriumcarbonat (wasserfrei), 4,35 g Kaliumcarbonat und 2,35 g Kaliumnitrat innig gemischt und sehr fein verrieben. Die Mischung muss vor Feuchtigkeit geschützt aufbewahrt werden.
Natriumhypochloritreagenz (2 % aktives Chlor): eine dem angestrebten Chlorgehalt entsprechende Menge pulverisierter Chlorkalk wird mit 60 ml Wasser geschüttelt, eine Lösung der berechneten Menge Natriumcarbonat (mit 5-10% Zuschlag) in 40 ml Wasser zugefügt und umgeschüttelt. Durch Stehenlassen über Nacht lässt man das ausgefallene Calciumcarbonat absitzen und dekantiert die überstehende klare Flüssigkeit oder pipettiert sie ab. Das Reagenz sollte jedes Mal frisch bereitet werden.
Der von mir verwendete Chlorkalk enthält 39,9 % aktives Chlor,was 5,5 mmol Calcium/g entspricht. Davon wurden 5,5 g mit 3,5 g Natriumcarbonat (stöchiometrische Menge 3,2 g) umgesetzt. Der Calciumcarbonatniederschlag ist ziemlich voluminös und das Absetzenlassen dauert tatsächlich etliche Stunden.
0,02 N Natriumthiosulfatlösung: man verdünnt 20,0 ml 0,1 N Natriumthiosulfatlösung, deren Titer frisch kontrolliert wurde, mit abgekochtem Wasser im Messkolben auf 100,0 ml. Auch diese Maßlösung ist nicht lange haltbar und wird am besten jedes Mal frisch bereitet.
Durchführung der Analyse:
In einem Nickeltiegel vermischt man 1,000 g fein pulverisierten Tang mit 1,5 g Nitrataufschlussmischung und bedeckt das Gemisch dann mit einer Schicht aus weiteren 5 g Nitrataufschlussmischung. Der Tiegel wird abgedeckt und mit dem Brenner für 20 Minuten zu schwacher Rotglut erhitzt. Nur zu Anfang kommt es zu einer geringen Rauchentwicklung. Nach etwa 10 Minuten öffnet man den Deckel und inspiziert den Inhalt. Bei meinem Versuch hatte sich in der Salzschmelze etwas organisches Material zusammengeballt. Durch Rühren mit einem eisernen Spatel verteilte es sich und verbrannte unter stellenweisem Aufglühen. Als nach 15 Minuten immer noch schwarze Körnchen zu erkennen waren, wurden noch einige Spatelspitzen Kaliumnitrat zugegeben, bis eine homogene Schmelze vorlag. Nach 20 Minuten wird der Brenner gelöscht und der Tiegel abkühlen gelassen.
In einem Becherglas erhitzt man 200 ml Wasser zum Sieden, gießt dieses portionsweise in den Tiegel und löst die erstarrte Salzschmelze unter Rühren (Tiegel in ein Becherglas stellen, damit er nicht umfällt!). Die Lösung wird in ein Becherglas abgegossen, und so oft frisches, siedendes Wasser nachgegossen bis die Schmelze völlig in Lösung gegangen ist, wozu 100 - 120 ml benötigt werden. Die trübe Flüssigkeit wird dann noch heiß durch ein Faltenfilter in einen 500 ml-Weithalserlenmeyerkolben filtriert, und Tiegel und Becherglas in kleinen Portionen mit dem restlichen siedenden Wasser ausgewaschen, welches dann zum Nachwaschen des Filters verwendet wird.
Die klare Lösung wird nun mit 50 ml Hypochloritreagenz versetzt, eine Spatelspitze Talkum (etwa 20 mg – Anmerkung 2) zugefügt und dann vorsichtig, portionsweise unter Schwenken 35%ige Schwefelsäure zugegeben, bis die Kohlendioxidentwicklung aufhört (Achtung! Freiwerden von Chlor! – Anmerkung 3). Es werden weitere 5 ml Schwefelsäure zugesetzt (bei mir im Ganzen 30 ml - Anmerkung 1) und die Mischung dann über der offenen Flamme gekocht, bis das Volumen auf ca. 150 ml zurückgegangen ist. Dann wird abkühlen gelassen, zwei Tropfen Phenolphthaleinlösung zugefügt und mit 4 N Natronlauge bis zur eben auftretenden Rosafärbung versetzt (bei mir knapp 35 ml). Schließlich werden unter Rühren 10 g Zitronensäure in der Reaktionsmischung gelöst und dann 0,25 g Kaliumiodid zugegeben, worauf sich die Flüssigkeit durch freigesetztes Iod gelbbraun färbt. Nach kurzem Waren (1/2-1 Minute) titriert man das Iod mit 0,02 N Natriumthiosulfatlösung, wobei gegen Ende der Titration 2-3 ml Stärkelösung zugesetzt werden. Obwohl sich die Blaufärbung zuletzt immer mehr aufhellt, ist Titrationsendpunkt scharf und eindeutig.
Ein Milliliter 0,02 N Natriumthiosulfatlösung entspricht 0,423 mg Iod in der Analysensubstanz. Bei meinem Versuch wurden 7,55 ml verbraucht, entsprechend 3,2 mg Iod. Der von mir untersuchte Palmentang hat in trockenem Zustand also einen Iodgehalt von 0,32 %.
Anmerkungen:
1. die Menge der Schwefelsäure wurde aus der Vorschrift der Literatur übernommen und ist wahrscheinlich zu hoch (dort heißt es, zur Neutralisation würden 10-15 ml 2N (!) Natronlauge benötigt). Es würde ausreichen, Schwefelsäure nur bis zur deutlich sauren Reaktion zuzusetzen. Dadurch ließe sich auch Natronlauge für die nachfolgende Neutralisation einsparen.
2. Der Talkumzusatz dient dazu, Siedeverzüge zu vermeiden. Er könnte wahrscheinlich durch einige Siedeperlen ersetzt werden.
3. das Chlor wird beim Säurezusatz frei, beim Einkochen dagegen nicht mehr. Ich habe den Versuch auf dem Fensterbrett eines offenen Fensters durchgeführt und nur anfangs einen leichten Chlorgeruch wahrgenommen.
Entsorgung:
Die austitrierte Flüssigkeit kann über das Abwasser entsorgt werden, überschüssige Natriumthiosulfatlösung und Natriumhypochloritlösung ebenfalls.
Erklärungen:
Iod ist in Meeresalgen in organischer und anorganischer Form vorhanden. Durch den Aufschluss wird die organische Substanz oxidativ zerstört (verbrannt) und das Iod als Iodid gebunden. Dieses wird in wässriger Lösung durch Chlor, welches beim Ansäuern aus dem Hypochloritreagenz frei wird, quantitativ zu Iodat oxidiert:
ClO- + Cl- + 2 H+ ---> Cl2 + H2O
I- + 3 Cl2 + 3H2O ---> IO3- + 6 HCl
Überschüssiges Hypochlorit wird durch Verkochen in saurer Lösung zersetzt
2 ClO- ---> 2 Cl- + O2
Die Flüssigkeit wird nun zuerst neutralisiert und dann mit Citronensäure schwach angesäuert. Nach Zugabe von Kaliumiodid oxidiert das Iodat dieses zu elementarem Iod.
IO3- + 5 I- + 6 H+ ---> 3 I2 + 3 H2O
Bei dem resultierenden pH-Wert von ca. 2,2 läuft diese Reaktion schnell genug ab (im Gegensatz z.B. bei Anwendung von Essigsäure, wo die Reaktion langsamer verläuft), andererseits wird ein Luftfehler (Oxidation des Iodids durch Luftsauerstoff in stark saurer Lösung) vermieden. Außerdem wird die Oxidation von Iodid durch eventuell in der Hypochloritlösung (durch Disproportionierung) gebildetes Chlorat verhindert. Auch Chlorat oxidiert Iodid nur in stark saurer Lösung, zudem verläuft die Reaktion ziemlich langsam.
Die Reaktionsgleichung macht den eingangs erwähnten “Verstärkereffekt“ deutlich: da ein Mol Iodat sechs Mol Iod bildet, steht eine wesentlich größere Iodmenge für die Titration zur Verfügung, als ursprünglich im Analysenmaterial vorhanden war. Der analytische Faktor - 0,423 mg Iod pro ml Maßlösung - errechnet sich folgendermaßen:
Molmasse Iod: 126,9 g/mol (= Äquivalentmasse)
1 ml 0,02 N Natriumthiosulfat entspricht 1/50 Millimol (126,9 mg : 50) = 2,538 mg Iod
Davon nur 1/6 ursprünglich im Analysenmaterial (2,538 mg : 6) = 0,423 mg Iod
Seetang wurde früher unter der lateinischen Bezeichnung Fucus als Arzneimittel verwendet. Nach der Entdeckung (um 1900), dass die Schilddrüse ein Hormon mit hohem Iodanteil (das Thyroxin) produziert, wurde versucht, die Schilddrüsentätigkeit durch Gabe von Iod zu stimulieren. Die Therapieerfolge blieben aus physiologischen Gründen oft aus, außerdem ist der Iodgehalt der Algen stark schwankend und die Bestimmung aufwändig, so dass eine kontrollierte Therapie kaum möglich ist. Die Zufuhr hoher Dosen Iod z.B. über getrockneten Tang (empfohlen wird eine Zufuhr von maximal 0,5 mg Iod/Tag – bei meinem Präparat wären das ca. 150 mg!) kann gesundheitliche Schäden bewirken.[2] Tang wird daher als Nahrungsergänzungsmittel, aber auch als Naturheilmittel ausdrücklich nicht mehr empfohlen (Negativmonographie der Kommission E am BfArM).[3] Iodmangel kommt heute in Europa durch die ausgedehnte Verwendung von iodiertem Speisesalz praktisch nicht mehr vor. Auch die Einnahme getrockneter Schafs-Schilddrüsen ist schon lange überflüssig geworden. Zur Therapie der Schilddrüsenunterfunktion steht synthetisches (S)-Thyroxin zur Verfügung, das exakt dosiert werden kann.
Literatur:
[1] Reimers, F.: Über die Bestimmung des Iods in der Schilddrüse; Zeitschrift für Analytische Chemie 118 (1939): 399-411
[2] Mitteilung des Bundesinstituts für Risikobewertung vom 22.6.2004: https://www.bfr.bund.de/cm/343/gesundhe ... _algen.pdf
[3] 49024 Fucus / Tang ; BAnz. Nr.101 vom 01.06.1990
Bilder:
Getrockneter Tang, rechts oben fein zerrieben
Der beschickte Nickeltiegel, noch vor Aufbringen der Decke aus Nitrataufschlussmischung
Glühen der Reaktionsmischung
Blick in den Tiegel, zunächst noch nicht umgesetzte Reste organischer Substanz in der Schmelze
Die erkaltete Schmelze
Lösen und Filtrieren der Lösung
Ansetzen des Natriumhypochlorit-Reagenz'
Einengen nach Zusatz von Hypochloritreagenz und ansäuern
Neutralisation
Braunfärbung durch Iod nach Zugabe von Citronensäure und Kaliumiodid
Titration mit 0,02 N Natriumthiosulfatlösung