Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

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lemmi
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Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von lemmi »

Herstellung von Weinessig durch Essigsäuregärung

Irgendwie mussten sie hineingekommen sein! Vielleicht aus der Luft, denn die Flasche war die letzten 14 Tage offen gestanden. Oder Fruchtfliegen hatten sie eingeschleppt. Jedenfalls waren sie da und begannen ihre Tätigkeit. Und als ich im vergangenen Spätsommer an der Flasche - es war ein ziemlich guter Rotwein gewesen - schnupperte, roch es nach Essig.
Ich beschloss, aus der Not eine Tugend zu machen. Da ich mich endlich im Besitz einer Stammkultur von Essigsäurebakterien befand, ergab sich die Gelegenheit, nicht nur Essig selbst zu fabrizieren, sondern auch die Bedingungen der Essigsäuregärung auszukundschaften und deren Verlauf zu studieren. Meine Erfahrungen und Versuchsergebnisse, die sich über 6 Monate erstrecken, teile ich hier mit.


Material/Geräte:

Diverse Glas- und Porzellankrüge 1-2 Liter fassend, keine Teller zum Abdecken
Erlenmeyerkolben, Saugflasche mit Nutsche, große Bechergläser und Erlenmeyerkolben (800-1000 ml), Wasserbad
Messpipette 5 ml, kleine Bechergläser (50-100 ml), Bürette, Glasstab, 100 ml-Erlenmeyerkolben mit durchbohrtem Gummistopfen, Büroklammern


Chemikalien:

Wein
Natronlauge 1N Warnhinweis: c
Phenolphtaleinlösung 1 % bzw. Phenolphtaleinpapier Warnhinweis: n Warnhinweis: attn Warnhinweis: f
Salzsäure, konzentriert Warnhinweis: c
Zinkgranalien p.A.
Bleiacetatpapier 1N Warnhinweis: n Warnhinweis: xn
Saccharose und Traubensaft

Essig


Sicherheitshinweise:

Bei diesen Versuchen wird ein zu Ernährungszwecken taugliches Produkt erhalten. Die Laborgeräte, die bei der Verarbeitung zum Einsatz kommen sollten daher neu sein, gut gereinigt und ausschließlich für Lebensmittelzwecke verwendet werden, um eine Kreuzkontamination mit Chemikalienrückständen aus dem Laborgebrauch sicher auszuschließen.


Versuchsdurchführung:

Grundregel: aus einem schlechten Wein wird kein guter Essig! Am besten geeignet sind tanninarme Rotweine und aromatische Weißweine. Der Wein sollte über 12 % Alkohol enthalten, damit man ihn verdünnen kann (siehe unten!). Ich habe gute Essige aus italienischem Primitivo, spanischem Rioja, französischem Chardonnay und deutschem Gewürztraminer und Grauburgunder erhalten.

Die Essigsäuregärung findet nur unter Luftzutritt statt. Als Ansatzgefäße sind Krüge aus Glas oder Porzellan/Steingut am besten geeignet. Sie werden mit einem Teller abgedeckt, was das Hineinfallen von Staub verhindert und die Verdunstung hintenanhält. Durch den Ausguss kann genügend Luft zum Ansatz dringen. Erlenmeyerkolben können mit einem Zellstoffstopfen verschlossen werden. Das Überbinden mit Tuch oder Zellstoff ist nicht empfehlenswert, da es der Verdunstung eine zu große Oberfläche bietet. Am besten eignen sich Weine mit einem Alkoholgehalt von 12 % oder mehr, den man durch Verdünnen mit Wasser auf 8-9 % senkt (Mischungskreuz!), was sich in meinen Versuchen als Optimum ergeben hat. Auf 1 Liter Wein gibt man etwa 50 ml einer Startkultur aus einem früheren Ansatz zu, welche bereits 5-6 % Essigsäure enthält. Die Fermentation geht am besten bei einer Temperatur von etwa 25 °C vor sich. Ich habe das Glück, dass in einem unserer Kellerräume, der fensterlos ist, und durch den Heizungsrohre laufen, ziemlich konstant diese Temperatur herrscht. Ansonsten muss man den Ansatz an einem warmen Ort aufstellen, z.B. neben der Heizung, im Hochsommer geht es auch ohne. Laut den Angaben in älteren Büchern mögen die Bakterien Temperaturschwankungen gar nicht. Nach 5-7 Tagen wird eine dünne, auf der Flüssigkeit schwimmende Kahmhaut sichtbar und den Ansatz trübt sich ein. Im Laufe der Zeit bildet sich ein Bodensatz aus und die Kahmhaut wird dünner oder verschwindet ganz.

Weinsessigherstellung 1.jpg
Abb: Gefäße zur Essigbereitung in einem warmen Kellerraum
Kahmhaut auf Rotwein.jpg
Abb.: Kahmhaut auf Rotwein

Bei Beachtung der genannten Punkte ist die Essigbildung in 3 bis 4 Wochen abgeschlossen. Dann rührt man den Ansatz gut um, um die auf der Oberfläche evtl. noch schwimmende Kahmhaut zum Absinken zu bringen, lässt einen Tag absitzen und gießt den Essig dann ab. Der trübe Bodensatz wird durch eine Filternutsche abgesaugt. Diese setzt sich ziemlich rasch zu. Bei meinen Versuchen habe ich auf das Absaugen der letzten 40-50 ml verzichtet und diesen Rest als Starkultur für einen neuen Ansatz verwendet: man rührt den Niederschlag in der Nutsche auf und gibt ihn mitsamt dem noch darin befindlichen Essig zum neuen Ansatz. Die Färbekraft der im Rotwein enthaltenen Anthocyane ist erstaunlich! Wenn man auch Weißweinessige fabrizieren will nimmt am besten Starkulturen, die auch in Weißwein gewachsen sind. Ansonsten bekommt man eben einen roséfarbenen Essig.

Der filtrierte Essig wird dann in einem sieden Wasserbad bis auf 70-80 °C erhitzt (großes Becherglas oder Erlenmeyerkolben), abkühlen gelassen und am nächsten Tag nochmals erhitzt. Durch dieses sogenannte Tyndallisieren wird die Flüssigkeit sterilisiert. Sie kann dabei wieder trübe werden. Auch hier ist absitzen-lassen und abgießen (oder abhebern) besser als Absaugen, weil sich das Filter sehr schnell zusetzt.

Erhitzen 2.jpg
Abb.: Tyndallisieren des Essigs

In dem erhaltenen Präparat wird der Essigsäuregehalt mittels Titration bestimmt und dann auf die gewünschte Stärke (in der Regel 5 oder 6%) verdünnt. Durch verdünnen von “hochprozentigem“ Rotweinessig mit Traubensaft unter Zusatz von Rohrzucker (Endkonzentration 10-12 g Saccharose/100 ml Essig) kann ein Balsamico-artiges Produkt erhalten werden. Echter Balsamico reift noch in einem Fall nach, wodurch sich die Farbe von Rot in Braun übergeht und auch deas Aroma sich ändert. Auch meine selbstgemachten Essige wurden geschmacklich durch Lagerung über einige Monate besser.


erneuerbare Startkultur von Essigsäurebakterien

Ich habe neben den Großansätzen immer auch eine kleine “Seitenkultur“ mitgeführt, die ich in einem 250 ml-Becherglas angesetzt habe: das Becherglas wurde zu 3/4 mit Buchenholzhobelspänen (aus einer Schreinerei) gefüllt. Die Hobelspäne wurden dann mit dem Rückstand einer Absaugung geschüttelt, abtropfen gelassen und das Glas halb mit verdünnten Weißwein aufgefüllt, so dass die Späne zur Hälfte oder zwei Dritteln bedeckt sind. Der Ansatz wird alle 2 Tage umgerührt und ist bereits nach 8-10 Tagen in Essig mit einem Säuregehalt von 5-6 % übergegangen. Diesen Essig habe ich einfach abgegossen und erfolgreich als Startkultur für neue Großansätze benutzt. Die mit Bakterien bewachsenen Hobelspäne werden einfach mit frischem Wein übergossen und liefern nach 8-10 Tagen die nächste Startkultur.

Ansatz auf Hobelspänen 1.jpg
Abb.: Essigkultur auf Hobelspänen


Untersuchungen zum Verlauf der Essigsäuregärung:

Mikroskopie der Essigsäurebeakterien:

Die Kahmhaut und der Bodensatz mehrerer Ansätze wurden mikroskopisch sowohl nativ als auch in der Gramfärbung untersucht. Die Bakterien stellten sich dabei als kleine, gramnegative, kokkoide Stäbchen von <1 µm Länge dar, die häufig paarweise, in kurzen Ketten oder flächigen Aggregaten gelagert erschienen. Mikroskopisch schien durchgehend eine Reinkultur vorzuliegen, denn Organismen mit anderem Färbeverhalten oder anderer Morphologie habe ich im Verlaufe meiner Versuche nie beobachtet, obwohl die Kultur mehrfach „übergeimpft“ wurde ohne dass irgendwelche sterilen Kautelen zur Anwendung kamen.

IMG20240925183755.jpg
Abb.: Essigsäurebakterien gefärbt mit Methylenblau

IMG20240925190358.jpg
Abb: Essigsäurebakterien nach Gram gefärbt, ein Teilstrich des Okularmikrometers einspricht hier 1 µm


Verlauf der Essigsäuregärung:

Während meiner Ansätze habe ich die Essigsäurebildung durch Titration in wöchentlichen Abständen verfolgt. Dazu habe ich eine 5 ml-Bürette mit automatischer Nullpunkteinstellung benutzt, mit der serielle Titrationen sehr schnell zu machen sind. Je 5 ml Analysengut wurden in ein 50 ml-Bechergläschen pipettiert, mit Wasser auf 30 ml verdünnt und mit 1 N Natronlauge gegen Phenolphtalein als Indikator titriert. Zu Weißweinessig kann man einfach einen Tropfen der Indikatorlösung zusetzen. Bei Rotweinessig geht das wegen der kräftigen Eigenfarbe nicht. Zum Glück fungiert das im Rotwein enthaltene Anthocyan selbst als Indikator: kurz vor Erreichen des Umschlagspunktes von Phenolphtalein ändert sich die Farbe nach graugrün. Sobald dieser Punkt erreicht ist gibt man die Lauge nur noch tropfenweise zu und tüpfelt jedes Mal auf Phenolphtaleinpapier. Die Rotfärbung desselben wird nach Zusatz von 1-4 Tropfen NaOH erreicht.

Tirtration mehrerer Proben 1.jpg
Abb.: Titration mehrerer Proben nacheinander

Titration Rotweinessig 1.jpg
Titration Rotweinessig 2.jpg
Titration Rotweinessig 3.jpg
Abb.: Farbumschlag von Rotweinessig bei der Titration

Titration Rotweinessig 4.jpg
Abb.: Tüpfeln auf Phenolphtaleinpapier

Der Massenkonzentration (m/V) an Essigsäure ergibt sich bei diesem Vorgehen nach folgender Formel (worin V die ml verbrauchte NaOH und f deren Faktor darstellen, der Faktor 1,2 ergibt sich aus der Molmasse der Essigsäure und der Hochrechnung des Probenvolumens von 5 auf 100 ml):

% Essigsäure [g/100 ml] = V x 1,2 x f

Hier ein paar typische Konzentrations-Zeit-Kurven (alle Weine wurde auf 9% Ethanolgehalt verdünnt):

Verlaufskurven 2.jpg

Anfangs, als ich unverdünnte Weine mit Alkoholgehalten von >10 % Ethanolgehalt als Edukte verwendete, dauerte es bis zum Abschluss der Fermentation teils mehr als 5 Wochen. Seit ich „hochprozentige“ Weine einsetzte, die mit Wasser auf ca. 9 % Ethanol verdünnt worden waren, ging die Essigbildung bedeutend schneller vor sich und war praktisch immer nach 3 Wochen abgeschlossen. In einzelnen Fällen habe ich beobachtet, dass der Säuregehalt bei noch längerem Stehelassen des Ansatzes wieder geringfügig (um 0,2-0,4%) sinkt (im Diagramm die Kurve "Primitivo II").

Wie hoch ist die Ausbeute der Essigsäuregärung? Wenn man die Molmassen betrachtet, entstehen aus 46 g Ethanol 60 g Essigsäure. Unter Berücksichtigung der Dichte von Ethanol (0,8 g/ml) ergibt sich folgende Formel:

Volumenprozente Ethanol (V/V) x 1,04 ---> Massenkonzentration Essigsäure (m/V)

Theoretisch müsste aus einem Wein mit 10 % Alkoholgehalt somit ein Essig mit 10,4 % Säuregehalt entstehen. Bei meinen Versuchen habe ich wiederholt gefunden, dass die Essigsäurekonzentration in den Ansätzen bis auf etwa 7 % stieg und danach bei diesem Wert verharrte. Offenbar ist das für den von mir eingesetzten Bakterienstamm die obere Grenze. Außerdem gaben meine Rotweine immer eine höhere Endkonzentration an Essigsäure als die Weiß- oder Roséweine. Ich habe systematisch die Ausbeute des Prozesses, in Abhängigkeit von der Ausgangskonzentration des Weines bestimmt. Dabei wurde sichtbar, dass sie bei Rotweinen immer besser war als bei Weißweinen oder einem Rosé. Ein paar beispielhafte Messwerte:

Grauburgunder (unverdünnt 12 % EtOH) gab einen Essig mit 6,17 % Essigsäure (Ausbeute 49 %)
Gewürztraminer (verdünnt auf 8,9 % EtOH) gab einen Essig mit 5,45 % Essigsäure (Ausbeute 59 %)
spanischer Rosado (verdünnt auf 9 % EtOH) gab einen Essig mit 4,81 % Essigsäure (Ausbeute 51 %)

Primitivo (verdünnt auf 9,1 % EtOH) gab einen Essig mit 6,75 % Essigsäure (Ausbeute 72 %)
Spätburgunder (verdünnt auf 9 % EtOH) gab einen Essig mit 7,36 % Essigsäure (Ausbeute 79 %)
Rioja (verdünnt auf 9 % EtOH) gab einen Essig mit 7,15% Essigsäure (Ausbeute 76 %)
Verdünnter Rioja (auf 5 % EtOH) gab einen Essig mit 3,9 % Essigsäure (Ausbeute 75 %)


Rest-Ethanol im Produkt:

Um zu prüfen, ob nach Abschluss der Essigsäuregärung noch “Restalkohol“ zurückbleibt, wurde die hier beschriebene Methode angewandt. Je 75 ml des erhaltenen Essigs wurden zur Neutralisation mit 4 N Natronlauge versetzt (je nach Säuregehalt 15-20 ml) und unter Zugabe von 20 g Kochsalz und 5 Tropfen Paraffinöl (um das Schäumen zu verhindern) destilliert bis 25,0 ml übergegangen waren.

Ethanolbestimmung 2.jpg
Abb.: Bestimmung von Ethanol in Weinessig

Folgende Resultate wurden erhalten:

Primitivo I mit 6,75 % Essigsäure: 0,85 % Ethanol
Gewürztraminer mit 5,45 % Essigsäure: 0,5% Ethanol
Spätburgunder mit 7,36 % Essigsäure: 0,25 % Ethanol
Verdünnter Rioja mit 3,9% Essigsäure: 0,23 % Ethanol

Womöglich wäre der Primitivo noch etwas stärker geworden, wenn ich noch ein paar Tage länger gewartet hätte (die Kurve im Diagramm oben lässt auch vermuten dass der Endpunkt der Gärung ncoh nicht erreicht war). Der Gewürztraminer dagegen war ausgegoren gewesen: der Säuregehalt hatte sich in den letzten 3 Tagen nicht verändert.


Sulfitgehalt der Weine:

Ein Problem bei der Verarbeitung von käuflichen Flaschenweinen ist ihr Sulfitgehalt. Sulfit wird als Konservans – eben um eine mikrobielle Zersetzung des Weines zu verhindern – jedem Wein zugesetzt. In Deutschland darf Rotwein bis 150 mg/l, Weißwein bis 200 mg/l Sulfit enthalten. Immer wieder hatte ich mit der Fabrikation von Weißweinessig erhebliche Schwierigkeiten. Die Gärung setzte teils verzögert, erst nach Zusatz mehrerer Startansätze ein und kam bei ziemlich neidrigen Säurekonzentrationen zum Stillstand. Einen Eiswein (bappsüß) und einen Dornfelder konnte ich gar nicht zur Essiggärung bringen. Den Sulfitgehalt der Weine habe ich nach folgendem Vorgehen halbquantitativ abzuschätzen versucht:

In einem 100 ml-Erlenmeyerkolben werden 10 ml Wein mit 5 ml konzentrierter Salzsäure versetzt und 10 Zinkgranalien hineingegeben. Dann setzt man einen vorbereitete, durchbohrten Gummistopfen auf, durch dessen Bohrung man eine aufgebogene Büroklammer steckt, die am unteren Ende hakenförmig umgebogen wird. An dem Haken befestigt man einen Streifen angefeuchtetes Bleiacetatpapier, so dass das Papier ca. 5 mm über der Flüssigkeitsoberfläche zu hängen kommt und lässt den Ansatz 5 Minuten stehen. Danach wird die Dunkelfärbung des Bleiactetatpapiers beurteilt.

Sulfitnachweis 2.1.jpg
Sulfitnachweis 2.2.jpg
Abb.: Nachweis von Sulfit in Weinen (v.l.n.r.: Weißwein - Rotwein - Traubensaft)

Mit dieser Analysenmethode habe ich verschiedene Ideen ausprobiert, das Sulfit aus dem Wein zu entfernen. Ich habe Wein mittels einer Aquarienluftpumpe und einem Ausströmerstein 24 und 48 Stunden durchlüftet, mit der Idee, das Sulfit zum Sulfat zu oxidieren – kein nachweisbarer Effekt. Auch offenes Stehenlassen an der Luft für 1 Woche brachte keinen Erfolg. Als ich 750 ml Weißwein mit 2 ml Wasserstoffperoxid (3%) versetzte und 24 Stunden stehen ließ, war die Sulfitprobe danach zwar wesentlich schwächer. Nur gelang es mir gar nicht, den so “behandelten“ Wein zur Essiggärung zu bringen. Schließlich bin darauf verfallen den Wein einfach zu verdünnen. Dadurch wird der Ethanolgehalt auf ein für die Essigsäuregärung optimales Maß gesenkt und der Sulfitgehalt gleich mit.


Entsorgung:

Alle Präparate oder Rückstände können mit dem Abwasser resp. Hausmüll entsorgt werden. gebrauchte Bleiacetatpapiere und die Zinkhaltigen Kolbeninhalte der Sulfitproben werden dem Schwermetallabfall zugeführt.


Erklärungen:

Der Ausdruck “Gärung“ für die Bildung von Essigsäure aus Ethanol durch Mikroorganismen ist eigentlich unrichtig, hat sich aber so eingebürgert. Ursprünglich – vor der Aufklärung der chemischen Vorgänge – wurde nur zwischen Gärung und Fäulnis unterschieden. Heute wird unter Gärung im engeren Sinne ein anaerober Vorgang (wie die Bildung von Ethanol aus Glukose) verstanden, während die Essigsäure“gärung“ ein oxidativer Prozess ist

C2H5OH + O2 ---> CH3COOH + H2O

Molmasse Ethanol: 46 g/mol
Molmasse Essigsäure: 60 g/mol

Der Prozess zerfällt in zwei Stufen. Zunächst wird mit Hilfe einer Alkoholdehydrogenase Acetaldehyd gebildet, der dann in einem weiteren Schritt von dieser von einer Acetaldehyddehydrogenase zu Essigsäure oxidiert. Als Zwischenprodukt kann, solange noch Ethanol in relevanten Konzentrationen vorhanden ist, Essigsäureethylester entstehen, der dem Ansatz einen unschönen “Klebstoffgeruch“ verleiht. Ich habe dies ein paar Mal beobachtet. Mit fortschreitender Essigsäurebildung verschwindet der Geruch wieder.

Dass es sich bei der Essigsäuregärung um einen bakteriellen Prozess handelt, wurde von Luis Pasteur (1822-1895) entdeckt. Im Jahre 1864 beschrieb Pasteur das erste Essigsäurebakterium und benannte es Acetobachter aceti. Später wurden sowohl weitere Acetobacter-Arten als auch Bakterien der Gattung Gluconobacter entdeckt, die ebenfalls in der Lage sind, Ethanol zu Essigsäure zu oxidieren. Beide Gattungen gehören zur Familie der Acetobacteraceae. Während Gluconobacter die gebildete Essigsäure nicht weiteroxidieren können, sind Acetobacter-Arten in der Lage, Acetat über den Zitronensäurezyklus zu Wasser und CO2 weiterzuoxidieren. Zu welcher Gattung die von mir verwendeten Bakterien gehörten kann ich nicht sagen.

Das hier beschriebene Vorgehen entspricht dem sogenannten “Oberflächen“- oder “Orleans“-Verfahren, das ziemlich viel Zeit in Anspruch nimmt aber besonders aromatische Essige liefern soll. Schneller arbeiten das “Rieselverfahren“, bei dem ethanolhaltige Flüssigkeit von oben über mit Essigsäurebakterien bewachsene Holzspäne tropft, während Luft von unten durch den Apparat (traditionell ein hölzernes Fass) strömt, und das industriell genutzte “Submersverfahren“, bei dem der Ansatz in stählernen Tanks durch Einblasen von Luft oxidiert wird. Die oben beschriebene “Seitenkultur“ auf Hobelspänen ist vom Rieselverfahren inspiriert. Die Bildung einer “Essigmutter“, einer gallertartigen, mehr oder weniger kompakten Masse aus Essigsäurebakterien, habe ich nie beobachtet. Das ist womöglich von der Bakterienart abhängig. Warum die Ausbeute an Essigsäure bei meinen versuchen mit Weißwein immer deutlich niedriger war, als bei Rotwein kann ich nicht sicher sagen, vermute aber, dass es am Sulfitgehalt liegt.

Die oben beschreibene Ethanolbestimmung ist in diesen Größenordnungen von <1 % sicher nicht besonders genau. Andere flüchtige Bestandteile könnten überdestilliert sein und das Ergebnis verfälscht haben. Dennoch sind die Resultate größenordnungsmäßig wohl zutreffend und die Schlussfolgerung erlaubt, dass sich in gut "ausgegorenen" Essigen nur noch Spuren von max 0,25 % Restalkohol finden.

Auch die Sulfitbestimmung ist bestenfalls semiquantitativ. eine Leerprobe (Unter Verwendung von Traubensaft anstelle des Weines) war jedoch negativ. Die Abnahme der Reaktionsstärke nach "Inkubation" des Weines mit Wasserstoffperoxid war sehr auffällig:

Sulfitnachweis vor und nach H2O2.jpg
Abb.: Sulfitprobe mit Weißwein vor und nach 24-stündigem Stehenlassen mit Wasserstoffperoxid (2 ml Perhydrol auf 750 ml Wein)

Leider ist es mir, wie gesagt, nicht gelungen den so behandelten Wein zur Essiggärung zu bringen. Es könnte aber auch sein, dass meine Kultur inzwischen abgestorben war. Dass Reste von H2O2 die Bakterien abgetötet haben könnten halte ich für weniger Wahrscheinlich, weil der Wein vor dem Ansatz noch weiter 5 Tage stand.


Nachtrag:

Zuletzt muss ich irgendwas falsch gemacht haben! Der letzte Wein, den ich angesetzt hatte enthielt vielleicht zu viel Sulfit. Oder eine Temperaturschwankung - ich hatte den letzten Kulturansatz ein paar Tage bei Zimmertemperatur aufbewahrt - hatte meinen Essigsäurebakterien den Garaus gemacht. Jedenfalls war im letzten Ansatz auch nach 4 Wochen keine Kahmhaut und keine Zunahme des Essigsäuregehaltes festzustellen. Die Essigfabrikation im Hause lemmi endete ebenso unverhofft, wie sie begonnen hatte.
"Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden. Aber nicht einfacher." (A. Einstein 1871 - 1955)

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MarbsLab
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von MarbsLab »

Sag mal, lemmi, wie lange arbeitest du an so einem Artikel?

Die Konzentrations-Zeit-Kurven beschreiben im übrigen die Logistische Funktion. Hier wird das Modell des exponentiellen Wachstums durch eine sich mit dem Wachstum verbrauchende Ressource modifiziert, die eine obere Schranke darstellt (oder aber auch dass sich die Bakterien mit dem Stoff, den sie produzieren, langsam selbst vergiften). Bei meinem Projekt Repeating an experiment they did on Mars to search for life tritt diese Kurve auch auf (CO2-Gehalt in Abhängigkeit von der Zeit). Mittels der Logistischen Funktion kann u.a. auch die Sterberate (der Menschen) in Abhängigkeit von der Zeit modelliert werden.
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Uranylacetat
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von Uranylacetat »

Eine klassische "Essig-Fabrikation" mit interessanten Ergebnissen – ein echter Artikel ala "lemmi" mal wieder .... :thumbsup:
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Ralf
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von Ralf »

Gefällt mir. Besonders das Diagramm!
lemmi hat geschrieben: Sonntag 16. März 2025, 04:22 Abb.: Kahmhaut auf Rotwein
Das ist keine Kahmhaut, das ist eindeutig ein Gefäß mit Rotem Phosphor! :mrgreen:
lemmi hat geschrieben: Sonntag 16. März 2025, 04:22Ich habe systematisch die Ausbeute des Prozesses, in Abhängigkeit von der Ausgangskonzentration des Weines bestimmt. Dabei wurde sichtbar, dass sie bei Rotweinen immer besser war als bei Weißweinen oder einem Rosé.
Schädigen die Farbstoffe die Bakterien oder wie erklärt sich das?
lemmi hat geschrieben: Sonntag 16. März 2025, 04:22 Es könnte aber auch sein, dass meine Kultur inzwischen abgestorben war. Dass Reste von H2O2 die Bakterien abgetötet haben könnten halte ich für weniger Wahrscheinlich, weil der Wein vor dem Ansatz noch weiter 5 Tage stand.
Ich halte das schon für wahrscheinlich.
lemmi hat geschrieben: Sonntag 16. März 2025, 04:22Die Essigfabrikation im Hause lemmi endete ebenso unverhofft, wie sie begonnen hatte.
Ach iwo. Einfach noch mal Wein offen stehen lassen! :D

Hast du keine Literatur benutzt?
MarbsLab hat geschrieben: Sonntag 16. März 2025, 10:29 Sag mal, lemmi, wie lange arbeitest du an so einem Artikel?
Offenbar bis spät in die Nacht. Verfasst: 4:22 Uhr. :shock:
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mgritsch
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von mgritsch »

Sehr schön und systematisch wie immer, danke für die interessanten Ausführungen! :thumbsup:

Das einzige was mir zum Vergleich gefehlt hätte, wäre reiner Alkohol als Vergleichs-Substrat. Gibt sicher nicht den schmackhaftesten Essig, aber man könnte schön den Einfluss von Sulfiten oder anderen Weinbestandteilen ausschließen. Brauchen Essigsäurebakterien Nährstoffe (Mineralien) um gut zu arbeiten und würden in reinstem 9% Alkohol nicht in Schwung kommen? Welche?

Auch der Einfluss der Temperatur: bei meinen Großeltern fand die Essiggärung im Keller statt, da war es deutlich kühler, dauerte sicher länger aber eventuell ist es für die geschmackliche Qualität förderlich? Es bildete sich jedenfalls immer eine Essigmutter. Kommt man damit auf andere Endkonzentration (Sauerstoff Diffusion als limitierener Faktor, Verdunsten von Alkohol als Verlust)?

Schade dass die Kultur am Ende kippte (so wie auch jede menschliche :mrgreen: ) aber wenn nicht alles sterilisiert wurde sollten doch noch genügend überlebt haben um wieder loslegen zu können?

Was ist deine Erklärung für ein Limit bei ~70%? Zu viel Essigsäure (durch Verdünnen zu lösen?) oder zu wenig Alkohol (Frage der Zeit bis auch konsumiert)? Ich habe jetzt nicht deine Zahlen auf Massenbilanz geprüft - ist die Summe von Restalkohol + Säure stimmig oder gibt es noch andere Lücken?) Hat kommerzieller Essig auch immer Restalkohol?

Sulfite: als Erklärung für verzögerten Start durchaus plausibel, irgendwann sollte aber alles weg oxidiert sein und die Party ungehindert loslegen, Luftsauerstoff reicht ja durchaus dafür. Was sprach gegen die Iod-Titration? (Außer dass es beim Rotwein nicht klappt… keine Ahnung wie eigentlich sonst in Weinlaboren darin Sulfit bestimmt wird? Ionenchromatographie? Potentiometrisch?) Der qualitative Nachweis mit Zn/Pb hat eventuell die Schwäche dass auch andere S-Verbindungen anschlagen könnten. Gibt es im ausgegorenen Essig noch Sulfit?
2 ml Perhydrol auf 750 ml Wein
Meinst du damit das 35%ige?
160 mg Sulfit/l sind 2 mmol, benötigt 4 mmol Peroxid, das wäre ca 0,14 g oder bei 35%igem 0,35 ml auf 1 Liter. Bisschen Faktor 10 überdosiert ;) aber natürlich gibt es auch viele andere oxidierbare Stoffe im Wein.
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lemmi
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von lemmi »

Erstmal Danke für die ganzen Rückmeldungen!

Wie lange ich an sowas schreibe kann ich nicht genau sagen, weil ich das immer Etappenweise mache. Die Versuche haben sich ja auch über ein halbes Jahr erstreckt. Mehr Arbeit als ein- bis zweimal pro Woche nachschauen und titriren war das nicht. Und zwischendurch abgießen und sterilisieren.

Die Uhrzeit täuscht, weil ich mich gerade in der Zeitzone UTC-5 befinde :wink: . So groß ist die Liebe zur Chemie doch nicht, dass ich bis morgens um 4 schreibe. Aber sie ist so groß, dass ich Artikel auch im Urlaub poste. :)

Zu den inhaltlichen Fragen:

@marbslab: danke für die mathematische Erklärung

@Ralf: dass das Wasserstoffperoxid toxisch war glaube ich deswegen nicht, weil ich knapp so viel zugegeben habe, wie Sulfit vorhanden war (nach dem Test war sogar noch welches übrig) und noch viele andere oxidierbare Stoffe im Wein sind. Das mit den Farbstoffen müsste umgekehrt sein: sie müssten die Essigbildung eher fördern, weil Rotwein besser geklappt hat als Weißwein.

@mgritsch: reinen Ethanol (9 %) habe ich tatsächlich auch mal probiert, aber es ist nichts passiert! Ich vermute, dass da ein paar anorganische Nährstoffe vorhanden sein müssen, habe dazu aber keine Literatur und habe es nicht systematisch ausprobiert.
Ich nehme an, dass so bei 7,5-8 % Essigsäure das Bakterienwachstum aufhört, ähnlich wie das der Hefe bei einer bestimmten Alkoholkonzentration. Hängt sicher vom Bakterienstamm ab.
Die Summe Essigsäure + Restalkohol ist nur wenig von der Ausbeute des Essigsäure entfernt. Der Rest ist wahrscheinlich weiter oxidiert worden. Ein bisschen was ist vielleicht auch verdunstet. Aber die Ausbeute von 75-80% finde ich ganz gut (wie ist die eigentlich bei der alkoholischen Gärung?).
Das "Perhydrol" hatte nur 3% und war in Bezug auf das Sulfit knapp kalkuliert. Daran kann's kaum gelegen haben.

Sulfitbestimmung mit Iod halte ich in einem Anslysengut wie Wein, der jede Menge oxidierbare organische Verbindungen enthält, für aussichtslos. Methoden in einem alten Lebensmittelchemiebuch (in meiner aktuell weit entfernten Bibliothek) funktionierten alle mit destillativer Abtrennung über SO2 und anschließender Titration im Destillat.

Der letzte Ansatz steht noch zu Hause im Keller. Vielleicht hat sich nach meiner Rückkehr doch noch was getan.
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aliquis
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von aliquis »

Schädigen die Farbstoffe die Bakterien oder wie erklärt sich das?
Wenn dem so wäre, hätte Weißwein die besseren Ergebnisse geliefert - hat er aber nicht, weil er stärker geschwefelt ist.
"Es lebe die Freiheit!" (Hans Scholl)
aliquis
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von aliquis »

weil ich mich gerade in der Zeitzone UTC-5 befinde
Alle Jahre wieder... Gruß nach Südamerika! :)
"Es lebe die Freiheit!" (Hans Scholl)
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lemmi
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von lemmi »

MarbsLab hat geschrieben: Sonntag 16. März 2025, 10:29 Die Konzentrations-Zeit-Kurven beschreiben im übrigen die Logistische Funktion.
Jetzt hab' ich dazu doch noch eine Frage an die Mathe-Cracks! Der Wikipedia-Artikel ist mir zu kompliziert. Soweit ich verstanden habe hat eine logistische Funktion folgende allgemeine Gleichung:

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Ich hätte gerne anschaulich erklärt, was die Ausdrücke k, G und f(o) darstellen. Ich nehme an, dass k wie immer eine für den betrachteten Prozess charakteristische Konstante ist (so wie beim radioaktiven Zerfall). Aber was ist G?
Und was ist f(o) - sieht aus wie eine andere Funktion ???

Zu meinem Verständnis würde es sehr beitragen, wenn jemand an Beispielen erklären könnte welche Auswirkungen Änderungen von G und f(o) auf das Ergebnis haben. Du (@marbslab) hattest geschrieben die Funktion beschreibe den Ablauf eines Prozesses unter Verbrauch einer endlichen Ressource. Wo ist die Ressource in der Funktionsgleichung repräsentiert?

Und noch eine Frage: könnte es sein , dass die Ableitung der logistischen Funktion eine Gauß'sche Glickenkurve ergibt? Nur so eine Idee von der Betrachtung der Steigungen...
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lemmi
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von lemmi »

P.S. ich hab den Artikel in die Spielwiese gestellt, weil er nicht die traditionelle Form erfüllt (Rede in erster Person). Aber ich finde, eigentlich wär es einen "richtigen" Artikel wert. Bitte um Rückmeldung, ob ich umformulieren soll! Oder lockern wir die strengen akademischen Regeln :wink: ?
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MarbsLab
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von MarbsLab »

lemmi hat geschrieben: Montag 17. März 2025, 14:30 Ich hätte gerne anschaulich erklärt, was die Ausdrücke k, G und f(o) darstellen. Ich nehme an, dass k wie immer eine für den betrachteten Prozess charakteristische Konstante ist (so wie beim radioaktiven Zerfall). Aber was ist G?
Die Logistische Funktion lässt sich auch einfacher beschreiben. Die englische Wiki-Seite ist da wesentlich besser:

\(\displaystyle f(x)=\frac{L}{1+e^{-k\cdot \left ( x-x_{0} \right )}},\)

wobei

\(L:\) Tragfähigkeit die maximale Populationsgröße einer biologischen Art, die in dieser spezifischen Umwelt unter Berücksichtigung der verfügbaren Nahrung, des Lebensraums, des Wassers und anderer Ressourcen aufrechterhalten werden kann. \(L\) ist somit die obere Schranke der Funktion.
\(k:\) Wachstumsrate
\(x_0:\) Wendepunkt

Die Gauss'sche Glockenkurve beschreibt die Normalverteilung, aber hier gilt die logistische Verteilung :)
Ich habe ein Buch über Biomathematik. Mal sehen, ob ich darin ein Beispiel für den Bakterienwachstum finde.
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lemmi
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von lemmi »

Okay, danke, das kommt mir schon mal einfacher vor :)

Wie geht man beim Aufstellen einer konkreten Funktion vor? Ermittelt man Wendepunkt und maximale Populationsgröße empirisch und leitet dann die Wachstumsrate ab?

Was die Gaus´sche Kurve beschreibt ist mir klar. Ihre Funktionsgleichung kenne ich nicht, mir ist nur aufgefallen, dass die Steigung der logistischen Funktion in der Mitte ein Maximum hat, und die von mir imaginierte Ableitungskurve, die sich dann ergibt, der Gaus´schen Glockenkurve ähnelt. Da beides sich auf biologische Populationen anwenden lässt - besteht da vielleicht ein Zusammenhang?

Bezüglich der Essigsäuregärung bin ich mir nicht sicher, ob man die Säurekonzentration so einfach der Populationsdichte der Baktieren proportional setzen kann!
Wäre die Logistische Funktion auch anwendbar, wenn man eine konstante Zahl von Bakterien hat, die Ethanol zu Essigsäure umsetzen, bis ersterer verbraucht ist? (wenn ich kurz drüber nachdenke: vermutlich nicht. In diesem Falle würde die Geschwindigkeit der Essigsäurebildung von der Ethanolkonzentration abhängen und eher zunächst steil ansteigen und sich dann einem Grenzwert nähern, oder?).

EDIT: verstehe ich das richtig, dass der Ausdruck e hoch -k(x-xo) mit zunehmendem x gegen Null strebt? Da irgendwann die maximale Populationsgröße erreicht wird kann f(x) nicht größer werden als L, somit muss der Nenner 1 werden. Ist das so? - bzw. vermutlich ist das eine asymptotische Annäherung. Also muss es irgendein x geben, bei dem die maximale Populationsgröße "praktisch" erreicht ist. Wieder eine Gemeinsamkeit mit der Normalverteilungskurve ! 8): so wie man bei einem biochemischen Messwert wie Hämoglobin eine obere Grenze des Normalbereichs definiert, weil nur noch 2,5% der Population darüber liegen.
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MarbsLab
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von MarbsLab »

lemmi hat geschrieben: Montag 17. März 2025, 17:35 Was die Gaus´sche Kurve beschreibt ist mir klar. Ihre Funktionsgleichung kenne ich nicht, mir ist nur aufgefallen, dass die Steigung der logistischen Funktion in der Mitte ein Maximum hat, und die von mir imaginierte Ableitungskurve, die sich dann ergibt, der Gaus´schen Glockenkurve ähnelt.
Ähnlich ja, gleich nein. Sofern ich weiß, wird die Normalverteilung bei Wachstumsmodellen nicht verwendet. Wo liegt die biologische Begründung? Man kann eine allgemeine Differentialgleichung herleiten, aus der alle biologisch wichtigen Wachstumsmodelle hervorgehen. Habe ich hier getan: Vom Mendelsohn-Modell zum Gompertz- und logistischen Wachstumsgesetz.
lemmi hat geschrieben: Montag 17. März 2025, 17:35 EDIT: verstehe ich das richtig, dass der Ausdruck e hoch -k(x-xo) mit zunehmendem x gegen Null strebt?
Ja.

\(\displaystyle \lim_{x \to \infty}\frac{L}{1+e^{-k\cdot \left ( x-x_{0} \right )}}=L\).

Wie gesagt, \(L\) ist eine obere Schranke (Supremum), also ein Grenzwert. Dieser Wert wird nie erreicht, außer wenn \(x \to \infty\) geht. Für fast alle Bakerienkulturen wurden die Wachstumsraten \(k\) bereits ermittelt. Da sollte es Literatur geben. Wegen dem Beispiel melde ich mich noch. Jetzt genieße erst mal deinen Urlaub :)
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lemmi
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von lemmi »

Danke!
Wegen meines Urlaubs keine Sorge, gehört alles dazu!
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Ralf
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Re: Herstellung von Weinessig (Essigsäuregärung)

Beitrag von Ralf »

lemmi hat geschrieben: Montag 17. März 2025, 15:00 Oder lockern wir die strengen akademischen Regeln :wink: ?
Lockern!!!
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