Irgendwie mussten sie hineingekommen sein! Vielleicht aus der Luft, denn die Flasche war die letzten 14 Tage offen gestanden. Oder Fruchtfliegen hatten sie eingeschleppt. Jedenfalls waren sie da und begannen ihre Tätigkeit. Und als ich im vergangenen Spätsommer an der Flasche - es war ein ziemlich guter Rotwein gewesen - schnupperte, roch es nach Essig.
Ich beschloss, aus der Not eine Tugend zu machen. Da ich mich endlich im Besitz einer Stammkultur von Essigsäurebakterien befand, ergab sich die Gelegenheit, nicht nur Essig selbst zu fabrizieren, sondern auch die Bedingungen der Essigsäuregärung auszukundschaften und deren Verlauf zu studieren. Meine Erfahrungen und Versuchsergebnisse, die sich über 6 Monate erstrecken, teile ich hier mit.
Material/Geräte:
Diverse Glas- und Porzellankrüge 1-2 Liter fassend, keine Teller zum Abdecken
Erlenmeyerkolben, Saugflasche mit Nutsche, große Bechergläser und Erlenmeyerkolben (800-1000 ml), Wasserbad
Messpipette 5 ml, kleine Bechergläser (50-100 ml), Bürette, Glasstab, 100 ml-Erlenmeyerkolben mit durchbohrtem Gummistopfen, Büroklammern
Chemikalien:
Wein
Natronlauge 1N

Phenolphtaleinlösung 1 % bzw. Phenolphtaleinpapier



Salzsäure, konzentriert

Zinkgranalien p.A.
Bleiacetatpapier 1N


Saccharose und Traubensaft
Essig
Sicherheitshinweise:
Bei diesen Versuchen wird ein zu Ernährungszwecken taugliches Produkt erhalten. Die Laborgeräte, die bei der Verarbeitung zum Einsatz kommen sollten daher neu sein, gut gereinigt und ausschließlich für Lebensmittelzwecke verwendet werden, um eine Kreuzkontamination mit Chemikalienrückständen aus dem Laborgebrauch sicher auszuschließen.
Versuchsdurchführung:
Grundregel: aus einem schlechten Wein wird kein guter Essig! Am besten geeignet sind tanninarme Rotweine und aromatische Weißweine. Der Wein sollte über 12 % Alkohol enthalten, damit man ihn verdünnen kann (siehe unten!). Ich habe gute Essige aus italienischem Primitivo, spanischem Rioja, französischem Chardonnay und deutschem Gewürztraminer und Grauburgunder erhalten.
Die Essigsäuregärung findet nur unter Luftzutritt statt. Als Ansatzgefäße sind Krüge aus Glas oder Porzellan/Steingut am besten geeignet. Sie werden mit einem Teller abgedeckt, was das Hineinfallen von Staub verhindert und die Verdunstung hintenanhält. Durch den Ausguss kann genügend Luft zum Ansatz dringen. Erlenmeyerkolben können mit einem Zellstoffstopfen verschlossen werden. Das Überbinden mit Tuch oder Zellstoff ist nicht empfehlenswert, da es der Verdunstung eine zu große Oberfläche bietet. Am besten eignen sich Weine mit einem Alkoholgehalt von 12 % oder mehr, den man durch Verdünnen mit Wasser auf 8-9 % senkt (Mischungskreuz!), was sich in meinen Versuchen als Optimum ergeben hat. Auf 1 Liter Wein gibt man etwa 50 ml einer Startkultur aus einem früheren Ansatz zu, welche bereits 5-6 % Essigsäure enthält. Die Fermentation geht am besten bei einer Temperatur von etwa 25 °C vor sich. Ich habe das Glück, dass in einem unserer Kellerräume, der fensterlos ist, und durch den Heizungsrohre laufen, ziemlich konstant diese Temperatur herrscht. Ansonsten muss man den Ansatz an einem warmen Ort aufstellen, z.B. neben der Heizung, im Hochsommer geht es auch ohne. Laut den Angaben in älteren Büchern mögen die Bakterien Temperaturschwankungen gar nicht. Nach 5-7 Tagen wird eine dünne, auf der Flüssigkeit schwimmende Kahmhaut sichtbar und den Ansatz trübt sich ein. Im Laufe der Zeit bildet sich ein Bodensatz aus und die Kahmhaut wird dünner oder verschwindet ganz.
Abb: Gefäße zur Essigbereitung in einem warmen Kellerraum
Abb.: Kahmhaut auf Rotwein
Bei Beachtung der genannten Punkte ist die Essigbildung in 3 bis 4 Wochen abgeschlossen. Dann rührt man den Ansatz gut um, um die auf der Oberfläche evtl. noch schwimmende Kahmhaut zum Absinken zu bringen, lässt einen Tag absitzen und gießt den Essig dann ab. Der trübe Bodensatz wird durch eine Filternutsche abgesaugt. Diese setzt sich ziemlich rasch zu. Bei meinen Versuchen habe ich auf das Absaugen der letzten 40-50 ml verzichtet und diesen Rest als Starkultur für einen neuen Ansatz verwendet: man rührt den Niederschlag in der Nutsche auf und gibt ihn mitsamt dem noch darin befindlichen Essig zum neuen Ansatz. Die Färbekraft der im Rotwein enthaltenen Anthocyane ist erstaunlich! Wenn man auch Weißweinessige fabrizieren will nimmt am besten Starkulturen, die auch in Weißwein gewachsen sind. Ansonsten bekommt man eben einen roséfarbenen Essig.
Der filtrierte Essig wird dann in einem sieden Wasserbad bis auf 70-80 °C erhitzt (großes Becherglas oder Erlenmeyerkolben), abkühlen gelassen und am nächsten Tag nochmals erhitzt. Durch dieses sogenannte Tyndallisieren wird die Flüssigkeit sterilisiert. Sie kann dabei wieder trübe werden. Auch hier ist absitzen-lassen und abgießen (oder abhebern) besser als Absaugen, weil sich das Filter sehr schnell zusetzt.
Abb.: Tyndallisieren des Essigs
In dem erhaltenen Präparat wird der Essigsäuregehalt mittels Titration bestimmt und dann auf die gewünschte Stärke (in der Regel 5 oder 6%) verdünnt. Durch verdünnen von “hochprozentigem“ Rotweinessig mit Traubensaft unter Zusatz von Rohrzucker (Endkonzentration 10-12 g Saccharose/100 ml Essig) kann ein Balsamico-artiges Produkt erhalten werden. Echter Balsamico reift noch in einem Fall nach, wodurch sich die Farbe von Rot in Braun übergeht und auch deas Aroma sich ändert. Auch meine selbstgemachten Essige wurden geschmacklich durch Lagerung über einige Monate besser.
erneuerbare Startkultur von Essigsäurebakterien
Ich habe neben den Großansätzen immer auch eine kleine “Seitenkultur“ mitgeführt, die ich in einem 250 ml-Becherglas angesetzt habe: das Becherglas wurde zu 3/4 mit Buchenholzhobelspänen (aus einer Schreinerei) gefüllt. Die Hobelspäne wurden dann mit dem Rückstand einer Absaugung geschüttelt, abtropfen gelassen und das Glas halb mit verdünnten Weißwein aufgefüllt, so dass die Späne zur Hälfte oder zwei Dritteln bedeckt sind. Der Ansatz wird alle 2 Tage umgerührt und ist bereits nach 8-10 Tagen in Essig mit einem Säuregehalt von 5-6 % übergegangen. Diesen Essig habe ich einfach abgegossen und erfolgreich als Startkultur für neue Großansätze benutzt. Die mit Bakterien bewachsenen Hobelspäne werden einfach mit frischem Wein übergossen und liefern nach 8-10 Tagen die nächste Startkultur.
Abb.: Essigkultur auf Hobelspänen
Untersuchungen zum Verlauf der Essigsäuregärung:
Mikroskopie der Essigsäurebeakterien:
Die Kahmhaut und der Bodensatz mehrerer Ansätze wurden mikroskopisch sowohl nativ als auch in der Gramfärbung untersucht. Die Bakterien stellten sich dabei als kleine, gramnegative, kokkoide Stäbchen von <1 µm Länge dar, die häufig paarweise, in kurzen Ketten oder flächigen Aggregaten gelagert erschienen. Mikroskopisch schien durchgehend eine Reinkultur vorzuliegen, denn Organismen mit anderem Färbeverhalten oder anderer Morphologie habe ich im Verlaufe meiner Versuche nie beobachtet, obwohl die Kultur mehrfach „übergeimpft“ wurde ohne dass irgendwelche sterilen Kautelen zur Anwendung kamen.
Abb.: Essigsäurebakterien gefärbt mit Methylenblau
Abb: Essigsäurebakterien nach Gram gefärbt, ein Teilstrich des Okularmikrometers einspricht hier 1 µm
Verlauf der Essigsäuregärung:
Während meiner Ansätze habe ich die Essigsäurebildung durch Titration in wöchentlichen Abständen verfolgt. Dazu habe ich eine 5 ml-Bürette mit automatischer Nullpunkteinstellung benutzt, mit der serielle Titrationen sehr schnell zu machen sind. Je 5 ml Analysengut wurden in ein 50 ml-Bechergläschen pipettiert, mit Wasser auf 30 ml verdünnt und mit 1 N Natronlauge gegen Phenolphtalein als Indikator titriert. Zu Weißweinessig kann man einfach einen Tropfen der Indikatorlösung zusetzen. Bei Rotweinessig geht das wegen der kräftigen Eigenfarbe nicht. Zum Glück fungiert das im Rotwein enthaltene Anthocyan selbst als Indikator: kurz vor Erreichen des Umschlagspunktes von Phenolphtalein ändert sich die Farbe nach graugrün. Sobald dieser Punkt erreicht ist gibt man die Lauge nur noch tropfenweise zu und tüpfelt jedes Mal auf Phenolphtaleinpapier. Die Rotfärbung desselben wird nach Zusatz von 1-4 Tropfen NaOH erreicht.
Abb.: Titration mehrerer Proben nacheinander
Abb.: Farbumschlag von Rotweinessig bei der Titration
Abb.: Tüpfeln auf Phenolphtaleinpapier
Der Massenkonzentration (m/V) an Essigsäure ergibt sich bei diesem Vorgehen nach folgender Formel (worin V die ml verbrauchte NaOH und f deren Faktor darstellen, der Faktor 1,2 ergibt sich aus der Molmasse der Essigsäure und der Hochrechnung des Probenvolumens von 5 auf 100 ml):
% Essigsäure [g/100 ml] = V x 1,2 x f
Hier ein paar typische Konzentrations-Zeit-Kurven (alle Weine wurde auf 9% Ethanolgehalt verdünnt):
Anfangs, als ich unverdünnte Weine mit Alkoholgehalten von >10 % Ethanolgehalt als Edukte verwendete, dauerte es bis zum Abschluss der Fermentation teils mehr als 5 Wochen. Seit ich „hochprozentige“ Weine einsetzte, die mit Wasser auf ca. 9 % Ethanol verdünnt worden waren, ging die Essigbildung bedeutend schneller vor sich und war praktisch immer nach 3 Wochen abgeschlossen. In einzelnen Fällen habe ich beobachtet, dass der Säuregehalt bei noch längerem Stehelassen des Ansatzes wieder geringfügig (um 0,2-0,4%) sinkt (im Diagramm die Kurve "Primitivo II").
Wie hoch ist die Ausbeute der Essigsäuregärung? Wenn man die Molmassen betrachtet, entstehen aus 46 g Ethanol 60 g Essigsäure. Unter Berücksichtigung der Dichte von Ethanol (0,8 g/ml) ergibt sich folgende Formel:
Volumenprozente Ethanol (V/V) x 1,04 ---> Massenkonzentration Essigsäure (m/V)
Theoretisch müsste aus einem Wein mit 10 % Alkoholgehalt somit ein Essig mit 10,4 % Säuregehalt entstehen. Bei meinen Versuchen habe ich wiederholt gefunden, dass die Essigsäurekonzentration in den Ansätzen bis auf etwa 7 % stieg und danach bei diesem Wert verharrte. Offenbar ist das für den von mir eingesetzten Bakterienstamm die obere Grenze. Außerdem gaben meine Rotweine immer eine höhere Endkonzentration an Essigsäure als die Weiß- oder Roséweine. Ich habe systematisch die Ausbeute des Prozesses, in Abhängigkeit von der Ausgangskonzentration des Weines bestimmt. Dabei wurde sichtbar, dass sie bei Rotweinen immer besser war als bei Weißweinen oder einem Rosé. Ein paar beispielhafte Messwerte:
Grauburgunder (unverdünnt 12 % EtOH) gab einen Essig mit 6,17 % Essigsäure (Ausbeute 49 %)
Gewürztraminer (verdünnt auf 8,9 % EtOH) gab einen Essig mit 5,45 % Essigsäure (Ausbeute 59 %)
spanischer Rosado (verdünnt auf 9 % EtOH) gab einen Essig mit 4,81 % Essigsäure (Ausbeute 51 %)
Primitivo (verdünnt auf 9,1 % EtOH) gab einen Essig mit 6,75 % Essigsäure (Ausbeute 72 %)
Spätburgunder (verdünnt auf 9 % EtOH) gab einen Essig mit 7,36 % Essigsäure (Ausbeute 79 %)
Rioja (verdünnt auf 9 % EtOH) gab einen Essig mit 7,15% Essigsäure (Ausbeute 76 %)
Verdünnter Rioja (auf 5 % EtOH) gab einen Essig mit 3,9 % Essigsäure (Ausbeute 75 %)
Rest-Ethanol im Produkt:
Um zu prüfen, ob nach Abschluss der Essigsäuregärung noch “Restalkohol“ zurückbleibt, wurde die hier beschriebene Methode angewandt. Je 75 ml des erhaltenen Essigs wurden zur Neutralisation mit 4 N Natronlauge versetzt (je nach Säuregehalt 15-20 ml) und unter Zugabe von 20 g Kochsalz und 5 Tropfen Paraffinöl (um das Schäumen zu verhindern) destilliert bis 25,0 ml übergegangen waren.
Abb.: Bestimmung von Ethanol in Weinessig
Folgende Resultate wurden erhalten:
Primitivo I mit 6,75 % Essigsäure: 0,85 % Ethanol
Gewürztraminer mit 5,45 % Essigsäure: 0,5% Ethanol
Spätburgunder mit 7,36 % Essigsäure: 0,25 % Ethanol
Verdünnter Rioja mit 3,9% Essigsäure: 0,23 % Ethanol
Womöglich wäre der Primitivo noch etwas stärker geworden, wenn ich noch ein paar Tage länger gewartet hätte (die Kurve im Diagramm oben lässt auch vermuten dass der Endpunkt der Gärung ncoh nicht erreicht war). Der Gewürztraminer dagegen war ausgegoren gewesen: der Säuregehalt hatte sich in den letzten 3 Tagen nicht verändert.
Sulfitgehalt der Weine:
Ein Problem bei der Verarbeitung von käuflichen Flaschenweinen ist ihr Sulfitgehalt. Sulfit wird als Konservans – eben um eine mikrobielle Zersetzung des Weines zu verhindern – jedem Wein zugesetzt. In Deutschland darf Rotwein bis 150 mg/l, Weißwein bis 200 mg/l Sulfit enthalten. Immer wieder hatte ich mit der Fabrikation von Weißweinessig erhebliche Schwierigkeiten. Die Gärung setzte teils verzögert, erst nach Zusatz mehrerer Startansätze ein und kam bei ziemlich neidrigen Säurekonzentrationen zum Stillstand. Einen Eiswein (bappsüß) und einen Dornfelder konnte ich gar nicht zur Essiggärung bringen. Den Sulfitgehalt der Weine habe ich nach folgendem Vorgehen halbquantitativ abzuschätzen versucht:
In einem 100 ml-Erlenmeyerkolben werden 10 ml Wein mit 5 ml konzentrierter Salzsäure versetzt und 10 Zinkgranalien hineingegeben. Dann setzt man einen vorbereitete, durchbohrten Gummistopfen auf, durch dessen Bohrung man eine aufgebogene Büroklammer steckt, die am unteren Ende hakenförmig umgebogen wird. An dem Haken befestigt man einen Streifen angefeuchtetes Bleiacetatpapier, so dass das Papier ca. 5 mm über der Flüssigkeitsoberfläche zu hängen kommt und lässt den Ansatz 5 Minuten stehen. Danach wird die Dunkelfärbung des Bleiactetatpapiers beurteilt.
Abb.: Nachweis von Sulfit in Weinen (v.l.n.r.: Weißwein - Rotwein - Traubensaft)
Mit dieser Analysenmethode habe ich verschiedene Ideen ausprobiert, das Sulfit aus dem Wein zu entfernen. Ich habe Wein mittels einer Aquarienluftpumpe und einem Ausströmerstein 24 und 48 Stunden durchlüftet, mit der Idee, das Sulfit zum Sulfat zu oxidieren – kein nachweisbarer Effekt. Auch offenes Stehenlassen an der Luft für 1 Woche brachte keinen Erfolg. Als ich 750 ml Weißwein mit 2 ml Wasserstoffperoxid (3%) versetzte und 24 Stunden stehen ließ, war die Sulfitprobe danach zwar wesentlich schwächer. Nur gelang es mir gar nicht, den so “behandelten“ Wein zur Essiggärung zu bringen. Schließlich bin darauf verfallen den Wein einfach zu verdünnen. Dadurch wird der Ethanolgehalt auf ein für die Essigsäuregärung optimales Maß gesenkt und der Sulfitgehalt gleich mit.
Entsorgung:
Alle Präparate oder Rückstände können mit dem Abwasser resp. Hausmüll entsorgt werden. gebrauchte Bleiacetatpapiere und die Zinkhaltigen Kolbeninhalte der Sulfitproben werden dem Schwermetallabfall zugeführt.
Erklärungen:
Der Ausdruck “Gärung“ für die Bildung von Essigsäure aus Ethanol durch Mikroorganismen ist eigentlich unrichtig, hat sich aber so eingebürgert. Ursprünglich – vor der Aufklärung der chemischen Vorgänge – wurde nur zwischen Gärung und Fäulnis unterschieden. Heute wird unter Gärung im engeren Sinne ein anaerober Vorgang (wie die Bildung von Ethanol aus Glukose) verstanden, während die Essigsäure“gärung“ ein oxidativer Prozess ist
C2H5OH + O2 ---> CH3COOH + H2O
Molmasse Ethanol: 46 g/mol
Molmasse Essigsäure: 60 g/mol
Der Prozess zerfällt in zwei Stufen. Zunächst wird mit Hilfe einer Alkoholdehydrogenase Acetaldehyd gebildet, der dann in einem weiteren Schritt von dieser von einer Acetaldehyddehydrogenase zu Essigsäure oxidiert. Als Zwischenprodukt kann, solange noch Ethanol in relevanten Konzentrationen vorhanden ist, Essigsäureethylester entstehen, der dem Ansatz einen unschönen “Klebstoffgeruch“ verleiht. Ich habe dies ein paar Mal beobachtet. Mit fortschreitender Essigsäurebildung verschwindet der Geruch wieder.
Dass es sich bei der Essigsäuregärung um einen bakteriellen Prozess handelt, wurde von Luis Pasteur (1822-1895) entdeckt. Im Jahre 1864 beschrieb Pasteur das erste Essigsäurebakterium und benannte es Acetobachter aceti. Später wurden sowohl weitere Acetobacter-Arten als auch Bakterien der Gattung Gluconobacter entdeckt, die ebenfalls in der Lage sind, Ethanol zu Essigsäure zu oxidieren. Beide Gattungen gehören zur Familie der Acetobacteraceae. Während Gluconobacter die gebildete Essigsäure nicht weiteroxidieren können, sind Acetobacter-Arten in der Lage, Acetat über den Zitronensäurezyklus zu Wasser und CO2 weiterzuoxidieren. Zu welcher Gattung die von mir verwendeten Bakterien gehörten kann ich nicht sagen.
Das hier beschriebene Vorgehen entspricht dem sogenannten “Oberflächen“- oder “Orleans“-Verfahren, das ziemlich viel Zeit in Anspruch nimmt aber besonders aromatische Essige liefern soll. Schneller arbeiten das “Rieselverfahren“, bei dem ethanolhaltige Flüssigkeit von oben über mit Essigsäurebakterien bewachsene Holzspäne tropft, während Luft von unten durch den Apparat (traditionell ein hölzernes Fass) strömt, und das industriell genutzte “Submersverfahren“, bei dem der Ansatz in stählernen Tanks durch Einblasen von Luft oxidiert wird. Die oben beschriebene “Seitenkultur“ auf Hobelspänen ist vom Rieselverfahren inspiriert. Die Bildung einer “Essigmutter“, einer gallertartigen, mehr oder weniger kompakten Masse aus Essigsäurebakterien, habe ich nie beobachtet. Das ist womöglich von der Bakterienart abhängig. Warum die Ausbeute an Essigsäure bei meinen versuchen mit Weißwein immer deutlich niedriger war, als bei Rotwein kann ich nicht sicher sagen, vermute aber, dass es am Sulfitgehalt liegt.
Die oben beschreibene Ethanolbestimmung ist in diesen Größenordnungen von <1 % sicher nicht besonders genau. Andere flüchtige Bestandteile könnten überdestilliert sein und das Ergebnis verfälscht haben. Dennoch sind die Resultate größenordnungsmäßig wohl zutreffend und die Schlussfolgerung erlaubt, dass sich in gut "ausgegorenen" Essigen nur noch Spuren von max 0,25 % Restalkohol finden.
Auch die Sulfitbestimmung ist bestenfalls semiquantitativ. eine Leerprobe (Unter Verwendung von Traubensaft anstelle des Weines) war jedoch negativ. Die Abnahme der Reaktionsstärke nach "Inkubation" des Weines mit Wasserstoffperoxid war sehr auffällig:
Abb.: Sulfitprobe mit Weißwein vor und nach 24-stündigem Stehenlassen mit Wasserstoffperoxid (2 ml Perhydrol auf 750 ml Wein)
Leider ist es mir, wie gesagt, nicht gelungen den so behandelten Wein zur Essiggärung zu bringen. Es könnte aber auch sein, dass meine Kultur inzwischen abgestorben war. Dass Reste von H2O2 die Bakterien abgetötet haben könnten halte ich für weniger Wahrscheinlich, weil der Wein vor dem Ansatz noch weiter 5 Tage stand.
Nachtrag:
Zuletzt muss ich irgendwas falsch gemacht haben! Der letzte Wein, den ich angesetzt hatte enthielt vielleicht zu viel Sulfit. Oder eine Temperaturschwankung - ich hatte den letzten Kulturansatz ein paar Tage bei Zimmertemperatur aufbewahrt - hatte meinen Essigsäurebakterien den Garaus gemacht. Jedenfalls war im letzten Ansatz auch nach 4 Wochen keine Kahmhaut und keine Zunahme des Essigsäuregehaltes festzustellen. Die Essigfabrikation im Hause lemmi endete ebenso unverhofft, wie sie begonnen hatte.