Synthese von Anthracen-9-carbaldehyd

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KoenigderMuggel
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Synthese von Anthracen-9-carbaldehyd

Beitrag von KoenigderMuggel »

Anthracen-9-carbaldehyd

Anthracen-9-carbaldehyd ist ein Derivat des Anthracens, welches sich über eine Vilsmeier-Haack-Reaktion aus diesem synthetisieren lässt. Anwendung findet es in der synthetischen Chemie als Ausgangsstoff für diverse Fluoreszenzfarbstoffe, wie zum Beispiel trans-9-(2-Phenylethenyl)-anthracen.
In der Literatur verwendet man als Lösungsmittel in dieser Synthese ortho-Dichlorbenzol, welches den Zweck hat, unreagiertes Anthracen in Lösung zu halten, sodass ein saubereres Produkt in höheren Ausbeuten (63 %) erzielt wird. Versuche, das ortho-Dichlorbenzol durch einen Überschuss an N,N-Dimethylformamid zu ersetzen, seien insofern gescheitert, dass ein verunreinigtes Produkt mit erschwerter Aufarbeitung in geringen Ausbeuten erhalten wurde.
Anthracen.jpg
Anthracen.jpg (8.69 KiB) 307 mal betrachtet
Im Rahmen dieses Artikels wurde versucht, dass in der Hobbychemie eher unübliche ortho-Dichlorbenzol durch das kommerziell besser und günstiger erhältliche Chlorbenzol zu ersetzen. Die Ausbeute war so zwar erwartungsgemäß merklich geringer (35 %), jedoch ließ sich das Zielprodukt deutlich besser isolieren und aufarbeiten, als der Verlauf der Synthese zuerst vermuten gelassen hat.
Ob der Einsatz von Chlorbenzol als Ersatz anstelle eines Überschusses von N,N-Dimethylformamid bessere Ergebnisse liefert, ist offen, da die Literatur zu der Ausbeute und der genauen Schwierigkeiten bei der Aufarbeitung bei letzterer Variante keine Angaben macht; dennoch sei hier die Synthese und der Erfahrungsbericht von Anthracen-9-carbaldehyd aus Anthracen mit Chlorbenzol als Lösungsmittel gezeigt.

Geräte:
Rundkolben, Dimrothkühler, Trockenrohr mit Calciumchlorid, Magnetheizrührer mit Ölbad, diverse Bechergläser, Eisbad, Möglichkeit zur Vakuumfiltration.

Chemikalien:
Anthracen Warnhinweis: attn Warnhinweis: n

Chlorbenzol Warnhinweis: f Warnhinweis: attn Warnhinweis: n

N,N-Dimethylformamid Warnhinweis: f Warnhinweis: xn Warnhinweis: attn

Phosphoroxychlorid Warnhinweis: c Warnhinweis: t Warnhinweis: xn

Essigsäure wasserfrei Warnhinweis: f Warnhinweis: c

Methanol Warnhinweis: f Warnhinweis: t Warnhinweis: xn

Natriumacetat Trihydrat

Anthracen-9-carbaldehyd Warnhinweis: attn

Hinweis: Phosphoroxychlorid verursacht schwere Verätzungen und ist zudem sehr giftig, beim Einatmen besteht akute Lebensgefahr! N,N-Dimethylformamid ist reproduktionstoxisch. Bei der Synthese entsteht Chlorwasserstoff! Das Arbeiten im Abzug ist unerlässlich.

Durchführung:
In einem 250 mL-Rundkolben wird 10,0 g Anthracen (56 mmol) vorgelegt und mit 20 mL Chlorbenzol versetzt. Zu der Suspension wird unter Rühren 10 mL N,N-Dimethylformamid (9,5 g, 130 mmol) hinzugefügt und anschließend langsam 10 mL Phosphoroxychlorid (16,8 g, 110 mmol) hinzugetropft, wobei sich die Lösung gelblich färbt. Der Rundkolben wird mit einem Dimrothkühler mit aufgesetztem Trockenrohr versehen, in ein Ölbad gehängt und dieses auf 100 °C temperiert. Während des Aufheizens geht der Feststoff in Lösung, welche sich über orange bis hin zu dunkelrot färbt. Erreicht das Ölbad die Zieltemperatur, wird noch für weitere 90 Minuten bei dieser Temperatur gehalten (Chlorwasserstoff!) und anschließend auf Raumtemperatur abgekühlt, wobei sich der Reaktionsansatz verfestigt. Der Rundkolben wird im Eisbad abgekühlt und der verfestigte Rückstand mit einer Lösung aus 80 g Natriumacetat1 Trihydrat in etwa 150 mL VE-Wasser herausgelöst. Die braune Lösung wird mit VE-Wasser auf ein Gesamtvolumen von etwa 800 mL aufgefüllt und über Nacht ruhen gelassen, wobei sich ein dunkelgelber Feststoff zusammen mit einer schwarzen, leicht öligen, Substanz2 abscheidet. Der Feststoff wird über eine Glasfritte abgesaugt und gründlich mit VE-Wasser nachgespült. Das Rohprodukt wird aus wasserfreier Essigsäure (ca. 25 mL) rekristallisiert, erneut abgesaugt, erst mit Essigsäure und dann mit wenig Methanol3 gewaschen. Das Produkt wird an der Luft bis zur Massenkonstanz getrocknet.

Ausbeute: 4,08 g (35 % d. Th.) feine fluffige gelbe Kristallnadeln.

1Richtwert. Wichtig ist, dass die Reaktionslösung am Ende mindestens neutral reagiert.
2Diese ölige Substanz ist vermutlich die besagte Verunreinigung, welche beim Verwenden von ortho-Dichlorbenzol nicht auftreten soll. Konträr zu meiner Erwartung stellte dieses Öl kein Problem bei der Aufreinigung da; es ging beim Absaugen durch die Fritte und sammelte sich im Filtrat. Die Einbuße bei der Ausbeute ist jedoch vermutlich darauf zurückzuführen.
3Das Produkt ist in Methanol einigermaßen löslich. Das Waschen mit Methanol ist jedoch erforderlich, um die Essigsäure zu entfernen. Zudem hellt das Podukt dadurch merklich auf. Auch hier wird Ausbeute im Tausch gegen Reinheit eingebüßt.

Entsorgung:
Flüssige Abfälle werden dem organischen Abfall zugeführt, Feststoffe kommen in den organischen Feststoffabfall. Verunreinigte Glasgeräte und die verwendete Fritte können mit Aceton gereinigt werden.

Erklärung:
Es findet eine Vilsmeier-Haack-Reaktion statt, mit der durch zusammenwirken von N,N-Dimethylformamid (DMF) und Phosphoroxychlorid (POCl3) an hinreichend nucleophilen Aromaten eine Formylgruppe (R-CHO) eingeführt werden kann:
Reaktionsschema.jpg
Reaktionsschema.jpg (8.14 KiB) 307 mal betrachtet
Im Detail reagiert das POCl3 1 mit dem DMF 2 unter Abspaltung von Dichlorophosphat zum Chloriminium-Ion 3, welches als Vilsmeier-Reagenz bekannt ist. Dieses reagiert in einer elektrophilen aromatischen Substitutionsreaktion mit Anthracen zu einem stabilen benzylständigen Iminium-Ion 4. Das Iminium-Ion wird im Zuge der wässrigen Aufarbeitung zum Aldehyd 5 hydrolysiert, wobei nebenbei Dimethylamin Hydrochlorid entsteht.
Reaktionsmechanismus.jpg

Bilder:

b1.jpg
Vorgelegtes Anthracen mit DMF in Chlorbenzol.

b2.jpg
Nach Zugabe von POCl3.

b3.jpg
Nach der Reaktionszeit.

b4.jpg
Verfestigter Reaktionsansatz.

b5.jpg
Ausgefallenes Rohprodukt und die (schwer zu erkennende) ölige Phase nach dem Ruhen über Nacht.

b6.jpg
Das aus Essigsäure rekristallisierte und mit Methanol gewaschene Anthracen-9-carbaldehyd.


Literatur:
[1] Archer, Campaigne: The Use of Dimethylformamide as a Formylation Reagent, J. Am. Chem. Soc. 1953, 75, 4, 989–991.
[2] Brückner: Reaktionsmechanismen. Organische Reaktionen, Stereochemie, Moderne Synthesemethoden, Springer Verlag, 2004, 3. Auflage, 235.
[3] Fieser et al.: Org. Synth. 1940, 20, 11.
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mgritsch
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Re: Synthese von Anthracen-9-carbaldehyd

Beitrag von mgritsch »

Wow, schön, eine Vilsmeyer und dann auch gleich mit anspruchsvollem Target :) DMAB habe ich schon gemacht, das geht super easy und mit toller Ausbeute (86%), aber das kann man nicht vergleichen.
Und auch auf Anhieb super toll nach unseren Standards aufbereitet, vielen Dank dafür! :thumbsup:
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Uranylacetat
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Re: Synthese von Anthracen-9-carbaldehyd

Beitrag von Uranylacetat »

Auch ich finde die Synthese dieses Ausgangsstoffs für Fluoreszenz-Farbstoffe sehr interessant. Dazu noch perfekt dokumentiert! :thumbsup:
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lemmi
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Re: Synthese von Anthracen-9-carbaldehyd

Beitrag von lemmi »

Sehr schön! Und toll, das du wieder da bist, KoenigderMuggel!

Und ich habe gleich noch ein paar Fragen:
Sind die entstehenden Nebenprodukte/ Verunreinigungen bekannt? Gibt es eine Theorie dazu, warum in Dichlorbenzol die Reaktion mit höherer Ausbeute verläuft als in Monochlorbenzol?

Nebenfrage: warum spricht man eigentlich von Carbaldehyd und nicht einfach von Aldehyd? Ich habe das neulich in einem englischsprachigen Paper gelesen, wo ortho- Nitrobenzaldehyd als Nitrobenzenecarbaldehyd bezeichnet wurde.
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KoenigderMuggel
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Re: Synthese von Anthracen-9-carbaldehyd

Beitrag von KoenigderMuggel »

Vielen Dank für die netten Rückmeldungen, freut mich auch, dass ich wieder da bin! Ich war nie ganz weg, hab immer mitgelesen und nun endlich wieder Zeit gefunden nicht nur wieder Projekte zu starten, sondern sie auch zu dokumentieren. Eventuell kommen noch mehr Artikel :D

Zum Thema Nebenprodukte und Verunreinigungen schreibt Orgsyn:
Prolonged heating leads to the formation of tars.
und
Sodium acetate appears to decompose a product of the condensation of methylaniline with phosphorus oxyhalides; substances other than the aldehyde are largely retained in the sodium acetate solution.
(Orgsyn hat N-Methylformanilid statt DMF verwendet)

Ferner schreiben Archer und Campaigne:
The o-dichlorobenzene held the unreacted anthracene in solution at the point of neutralization and prevented contamination of the product.
Die Verunreinigungen werden demnach wohl unreagiertes Anthracen und Kondensationsprodukte vom POCl3 mit dem entsprechenden Amin sein. Warum ortho-Dichlorbenzol hier das heilige Lösungsmittel ist und Monochlorbenzol (was ja eigentlich nicht so weit her gegriffen ist) so viel schlechter (ich bin trotzdem zufrieden :lol: ) ist, ist mir nicht bekannt.

Edit: Ah ja, Carbaldehyd. Die Aldehyd-Funktion bringt ein extra C-Atom mit ins Spiel, daher der Name. "Carbonitril" ist auch ein Ding.
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lemmi
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Re: Synthese von Anthracen-9-carbaldehyd

Beitrag von lemmi »

Hast du irgendeine Reinheitsprüfung des Präparates gemacht? Schmelzpunkt bestimmt oder eine DC gemacht?
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KoenigderMuggel
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Re: Synthese von Anthracen-9-carbaldehyd

Beitrag von KoenigderMuggel »

Reinheitsbestimmung steht aus, ich würde erstmal Schmelzpunkt bestimmen. DC kann ich leider nicht machen, ich habe zwar die DC-Platten, jedoch keine UV-Lampe in der passenden Wellenlänge. Ich bin auch am gucken, ob ich nicht an meiner Uni die Gelegenheit bekommen könnte, ein bisschen fortgeschrittene Analytik von dem Produkt zu machen.
TheCopperMan
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Re: Synthese von Anthracen-9-carbaldehyd

Beitrag von TheCopperMan »

KoenigderMuggel hat geschrieben: Mittwoch 28. August 2024, 23:10 Reinheitsbestimmung steht aus, ich würde erstmal Schmelzpunkt bestimmen. DC kann ich leider nicht machen, ich habe zwar die DC-Platten, jedoch keine UV-Lampe in der passenden Wellenlänge. Ich bin auch am gucken, ob ich nicht an meiner Uni die Gelegenheit bekommen könnte, ein bisschen fortgeschrittene Analytik von dem Produkt zu machen.
Alternativ könntest Du die DC sonst anfärben. Dann könntest Du zuhause auch einmal auf Umsetzung des Edukts untersuchen.
TheCopperMan
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Beiträge: 43
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Re: Synthese von Anthracen-9-carbaldehyd

Beitrag von TheCopperMan »

Ein sehr schöner Artikel. :thumbsup: Gefällt mir sehr gut, auch die gesamte Dokumentation. Was sind die Folgepläne?
Interessant wäre bestimmt folgendes viewtopic.php?t=3386, wie es bereits im oberen Beitrag erwähnt wurde.

Schön wäre es auch, gegebenenfalls ein NMR-¹H-Spektrum aufnehmen zu lassen, um zu schauen, wie rein das Anthracen-9-carbaldehyd isoliert werden konnte. Möglicherweise gibt dies Aufschluss über mögliche Verunreinigungen mit Chlorbenzol. Das wäre aber nur optional und erfordert sicherlich eine Möglichkeit an einer Universität.
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schlemmiloom
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Re: Synthese von Anthracen-9-carbaldehyd

Beitrag von schlemmiloom »

Das ist ein sehr interessantes Thema, das ich mir nochmal in Ruhe zu Gemüte führen muss.

Nur so viel sei gesagt:
Ich finde die Kristalle aus meiner Vilsmeier-Haack Reaktion waren schöner. :mrgreen: :mrgreen:
Aber das gelb kommt schon nahe daran.

Im nicht ganz trockenen Zustand hat es in der Petrischale noch schöner gestrahlt.
Die Bedingungen beim Umkristallisieren waren jedoch verschwenderisch, um ein feinstes „Aldehyd“ zu erhalten (kurzer, aber herzlicher Dank an den Kollegen aus der NMR-Abteilung).
"Eisenhut tut selten gut. Iron-hat makes people sad."

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