"naszierender" Wasserstoff

Fragen zur allgemeinen Chemie; alles, was in keine andere Kategorie passt.

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aliquis
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"naszierender" Wasserstoff

Beitrag von aliquis »

mgritsch hat geschrieben: Mittwoch 21. August 2024, 23:04
aliquis hat geschrieben: Mittwoch 21. August 2024, 01:54 Wiki schreibt…
Anmerkung: im Artikel über H2 (der sich sogar rühmt „in die Liste der exzellenten Artikel aufgenommen“ worden zu sein) findet sich ein Absatz über “Nascierender Wasserstoff“

Dazu sei angemerkt:
  • Keine der dort aufgestellten Behauptungen ist mit irgendeiner Quelle belegt, die Beispiele IMHO sogar besonders schlecht gewählt da sie problemlos völlig ohne H2 auskommen wenn man stattdessen einfach Zn in der Gleichung ansetzt
  • Die Hypothese vom „statu nascendi“ ist (zumindest in der Chemie) nicht mehr aktuell da er noch nie bewiesen werden konnte und auch sonst immer Ockham‘s Messer zum Opfer fiel
  • Kurioserweise kennt die Deutsche Wikipedia sogar einen eigenen Artikel zu „Nascierender Stoff“ https://de.m.wikipedia.org/wiki/Naszierender_Stoff - ebenfalls ohne Quellen, nur mit einer allgemeinen (Tertiär-)Literatur Empfehlung. Die Englische Version des Artikels hingegen https://en.m.wikipedia.org/wiki/Nascent ... chemistry) ist endlich auf Stand: „is an obsolete theory in chemistry“ und belegt das auch mit vernünftigen Quellen. Wikipedia widerspricht sich sogar selbst ;)
Vernünftige Quelle: Reedy, J. H., & Biggers, E. D. (1942). The nascent state. Journal of Chemical Education, 19(9), 403. doi:10.1021/ed019p403
These opinions are based largely upon theoretical considerations and, for the most part, are not susceptible of experimental proof.
Wann holt die deutsche Wikipedia mal auf den Stand von 1942 auf? ;)
Mich hat die Zink-Hypothese nie richtig überzeugt...
Nehmen wir einmal ein paar Beispiele:
Metallisches Zink reduziert
- Nitrat im Sauren und bei niedrigen Temperaturen zu Hydroxylammonium und Aluminium im Alkalischen zu Ammoniak?
- Schwefeldioxid zu Schwefelwasserstoff?
- Formiat im Sauren zu Formaldehyd?
- organische Farbstoffe zur Leukoform?
- Vanadat runter bis zur OS +II?
Und interessanterweise bewirken Eisen- oder Magnesiumpulver in Säure bzw. Alufolie in Alkalilauge das gleiche wie Zink, obwohl unterschiedliche Elektronegativität?
Warum hat Aluminumpulver in Schwefelsäure dann nicht die gleiche oder eine noch stärkere Reduktionswirkung wie/als Zinkpulver in Schwefelsäure? Wenn nasc. Wassserstoff keine Rolle spielt, müsste es bei Aluminium dann nicht egal sein, welche Säure die notwendigen Protonen liefert? Ist es aber nicht: Reduktionswirkung bei Verwendung von Salzsäure, mit Schwefelsäure tut sich hingegen fast nichts (weil auch kaum Umsetzung mit Aluminium).
Dumm gefragt: Geben die Redoxpotentiale die Erklärung einer Reduktion direkt über das Metall wirklich in jedem Fall her?
Anderes Beispiel: anodische Oxidation einer Manganelektrode während Elektrolyse von Kaliumcarbonatlösung (in ungetrennter Zelle). Die an der Anode entstehende Permanganatlösung entfärbt sich im Umfeld der Kathode, Braunstein setzt sich ab - sich noch eine Weile fortsetzend auch nach Abschalten des Stroms. Wie erklärt sich das ohne naszenten Wasserstoff?
Einen hab ich noch: Zink in einer Silberchlorid-Suspension tut nichts, mit einem Schuss Salzsäure geht's dann los...

Deutsches und englisches Wiki gehen oft stark auseinander und nicht immer ist die englische Version automatisch die bessere...
Ich habe schon Widersprüche innerhalb des gleichen Artikels gefunden...
Das ist halt die Kehrseite der Multi-Autorenschaft: viele Köche verderben den Brei... Jeder darf mal drin rumrühren...
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mgritsch
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Re: Aliquis fragt

Beitrag von mgritsch »

Nachdem du wieder mal einen massiven Abzweiger in ein ganz anderes Thema eröffnet hast und weitere Fragen zu befürchten sind jetzt mal nach hier abgetrennt.
aliquis hat geschrieben: Donnerstag 22. August 2024, 00:59 Dumm gefragt: Geben die Redoxpotentiale die Erklärung einer Reduktion direkt über das Metall wirklich in jedem Fall her?
ja, aber nicht alleine und nicht in der Form wie du sie in der Tabelle findest / liest.

Grundsätzlich findet eine Reaktion statt wenn:
- sie thermodynamisch günstig ist (negative freie Reaktionsenthalpie)
- sie kinetisch nicht gehemmt ist (Aktivierungsenergie)
- und du auch die richtige Reaktion betrachtest (zB: ist es tatsächlich Zn oder ein Zn-Komplex? ist es tatsächlich Al oder die Oxidschicht an seiner Oberfläche?)

Grafisch kann man das ganz gut anhand der bekannten Darstellung des Reaktionspfads illustrieren:
Bild

der Unterschied zwischen X und Y ist die freie Reaktionsenthalpie (Energie die entweder in Form von Wärme oder Entropie frei wird). Und die hängt direkt (verformelt, erspar ich dir) mit dem Standardpotenzial bzw der Potenzialdifferenz der beiden betrachteten Halbreaktionen zusammen.

(Anmerkung: die Grafik wie die allermeisten dazu ist diesbezüglich falsch! hier steht ΔH was gemeinhin das Symbol für die Reaktions-Enthalpie, also nur den Wärme-Anteil ist. Es müsste korrekterweise die freie Reaktionsenthalpie sein (Gibbs-Energie) die mit ΔG bezeichnet wird. Dass auch endotherme Reaktionen sehr freiwillig ablaufen können ist denke ich hinlänglich bekannt. Merke dazu: ΔG = ΔH - TΔS)

Anders ausgedrückt: du kannst nicht aus einem zu schwachen Reduktionsmittel ein stärkeres machen, idem du es dazwischen in ein anderes (in dem Fall H2) umwandelst. Im Gegenteil, du verlierst bei jeder Umwandlung eine Teil. Alles andere wäre die chemische Version eines Perpetuum Mobile. Somit ist klar, dass Zn unbedingt das stärkere Reduktionsmittel ist als allfälliger Wasserstoff der sich daraus gebildet haben könnte. Das ist konsistent mit Zn2+ + 2 e- ⇌ Zn E0 = –0.76 V und 2 H+ + 2 e- ⇌ H2 E0 = 0.00 V und alles andere wäre ein gröblicher Widerspruch. Man kann also alles was mit H reduzierbar ist grundsätzlich auch mit Zn reduzieren, nicht jedoch umgekehrt.

Was man gerne bei so vereinfachten Betrachtungen außer Acht lässt ist die Frage ob denn die Reaktion die man formuliert tatsächlich so abläuft wie man es am Papier vereinfacht geschrieben hat oder ob man vielleicht die eine oder andere Neben- oder Folgereaktion die auch mitspielt vergessen oder ausgeblendet hat. Praktisch am häufigsten vergessen wird, dass zB in der Lösung kein Zn2+ vorliegt (vereinfachte Formulierung!) sondern zumindest etwas wie [Zn(H2O)6]2+ odgl, je nachdem was noch alle mit in der Lösung schwimmt. Und das ist eben nicht eh das gleiche sondern da hängt jetzt eine weitere Reaktion und somit ein weiteres Gleichgewicht und freie Enthalpie dran die mehr oder weniger viel Einfluss auf den tatsächlichen Verlauf und netto-GG-Lage haben. Schönes da sehr deutliches und bekanntes Beispiel:
Fe3+ + e ⇌ Fe2+ 0.771
[Fe(CN)6]3– + e ⇌ [Fe(CN)6]4– 0.358
Die Anwesenheit von Cyanid-Ionen und die daran gekettete Komplexbildungs-Reaktion hat die "Oxidationskraft" von Fe3+ von 0,77 auf 0,36 gesenkt!

Detto die pH-Abhängigkeit: entweder sie steckt schon in der Reaktionsgleichung weil darin H unmittelbar vorkommt (tut es bei Zn/Zn2+ nicht) oder sie kommt indirekt hinein weil die Folgereaktion Zn2+ -> Zn(OH)2 und dessen Ausfallen das GG mit beeinflusst, um dann evtl bei höherem pH wieder in die andere Richtung zu gehen wenn es sich zum Zinkat auflösen kann. Fazit - das Potenzial ist natürlich pH-Abhängig. Einschlägige Darstellungen die all diese Spezies und den pH betrachten findet man in Pourbaix-Diagrammen, das ist sozusagen das nächste Level nach der einfachen Liste der E0.

Deine vielen Beispiele wie:
Metallisches Zink reduziert
- Nitrat im Sauren und bei niedrigen Temperaturen zu Hydroxylammonium und Aluminium im Alkalischen zu Ammoniak?
kann man damit bereits teilweise erklären wenn man nur mal genauer hinsieht was wirklich alles passiert.

Was ebenfalls eine große Rolle spielt ist die Kinetik - oder eben anders formuliert die Aktivierungsenergie. Dass wir überhaupt existieren, verdanken wir nur ihr. Denn sonst würden N2 + O2 in der Luft schon längst zu Stickoxiden reagiert haben, das ist das thermodynamisch stabile Produkt und das würden entsprechende E0 auch vorhersagen. Auch alles andere (inklusive wir C-Menschen) wäre schon längst weg-oxidiert wenn es nur nach den E0 ginge. Je nach Reaktion kann die Barriere relativ gering ausfallen (zünde ein Holz oder H2 an) oder wahnsinnig hoch (versuche N2 zu verbrennen).

viele Reaktionen mit N-Verbindungen sind in der Beziehung auffällig, hatten wir an anderer Stelle dazu schon mal. Das erklärt dann ziemlich den Rest von zB
Metallisches Zink reduziert
- Nitrat im Sauren und bei niedrigen Temperaturen zu Hydroxylammonium und Aluminium im Alkalischen zu Ammoniak?

und was du sonst noch an Beispielen genannt hast.

Last but not least kommen wir damit zur Katalyse. Das ist keine "schwarze Magie" die die Aktivierungsenergie von irgendwoher zaubert oder verändert, sondern nur das Ermöglichen von anderen Reaktionswegen, wenn man es nur genau genug betrachtet. Eine Reaktion A -> B die kinetisch so nicht funktioniert wird in mehrere neue, andere Teilschritte A > x > y > z > B zerlegt die für sich genommen kinetisch (und natürlich auch thermodynamisch) funktionieren. In der "Makrosicht" die nur auf A und B schaut scheint es als wäre die Aktivierungsenergie plötzlich geringer geworden, aber in Wirklichkeit haben wir einfach eine völlig andere Reaktionsabfolge.

Das trifft besonders bei Reaktionen mit H2 sehr stark zu. Jeder Organiker kennt das, wenn er mit Pd/C (Palladium on Carbon) Reduktionen durchführt. Man kann H2 rein pumpen wie viel man will, ohne den Kat wird nix passieren. Was macht der Kat - er zerlegt die Reaktion in weitere Teilschritte die für sich nicht so gehemmt sind. Wenn man das jetzt "nascierend" nennen will - von mir aus, aber es wäre eine völlig unnötige Zusatz-Hypothese extra für den Wasserstoff gestrickt die zu den üblichen Erkenntnissen aus der Katalyse nichts beiträgt und daher Ockhams Messer zum Opfer fallen darf.

Will man noch ein Stückchen tiefer eindringen, dann könnte man sich jetzt auch noch mit angeregten Zuständen befassen. Prominentes Beispiel wäre da der Singulett-Sauerstoff dem man beim Verfallen in den Grundzustand sogar leuchtend zusehen kann und der auch reaktiver als die Triplett-Form ist. Detto: Wenn man das jetzt "nascierend" nennen will - von mir aus, aber es wäre eine völlig unnötige Zusatz-Hypothese die zu den bisherigen Erkenntnissen nichts beiträgt und daher Ockhams Messer zum Opfer fallen darf. Bei Wasserstoff spielt das IMHO nicht mal eine Rolle da es sowas dort generell nicht gibt, aber damit bin ich mir nicht mehr 100% sicher.

Fazit: wenn du dir verschiedene Reaktionen nicht erklären kannst, dann liegt das vor allem daran dass du sie nicht genau genug auf diesen Ebenen betrachtet hast. Eine neue Hypothese braucht es nicht, vor allem wenn zahlreiche Versuche diese bisher experimentell zu bestätigen gescheitert sind. Eine Hypothese die dem Experiment nicht stand hält ist zu verwerfen...

Zu weiteren Fragen verweise ich auf die zuletzt verlinkte, sehr gute Literatur Reedy, J. H., & Biggers, E. D. (1942). The nascent state. Journal of Chemical Education, 19(9), 403. doi:10.1021/ed019p403
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H nasc

Beitrag von aliquis »

mgritsch hat geschrieben: Donnerstag 22. August 2024, 12:32 Nachdem du wieder mal einen massiven Abzweiger in ein ganz anderes Thema eröffnet hast und weitere Fragen zu befürchten sind jetzt mal nach hier abgetrennt.
Mooooment... das Hnasc-Thema hattest Du im anderen Thread höchstselbst "abgezweigt": viewtopic.php?p=96012&hilit=nascierende ... off#p96012
Tschuldigung, dass ich mich erdreistet habe, eine Rückfrage dazu zu stellen... :wink:
Eigentlich hättest Du Deinen Beitrag dort also auch gleich mit abtrennen und hierher verschieben können, dann wäre zumindest klar gewesen, woher meine Frage kommt...
Ich habe mir der Nachvollziehbarkeit halber daher erlaubt, Dich in meinem hierher verschobenen Beitrag nachträglich zu zitieren. :angel:

Zum Thema: da muss ich mal sehen, wie mir Deine Antwort weiterhelfen kann (an ihr liegt es jedenfalls nicht: fundiert und ausführlich wie immer, daher auf jeden Fall Danke dafür).
H nasc war eben die eine und plausible Hypothese für alle genannten Beispiele. Jetzt brauche ich für jede Reaktion eine neue/eigene Berechnung/ Erklärung, um zu bestätigen, dass es H nasc nicht gibt...
Mir hat diese "Krücke" im Hobbybereich halt immer ausgereicht und mich selbst dort nicht verlassen, wo es um Quantitäten ging...
Muss ich nun eben aufpassen, dass keines meiner Beispiele dabei ist, wenn hier demnächst doch mal anfange, den einen oder anderen Artikel zu schreiben... :angel:
Ockhams Messer: stammt von daher nicht auch der Grundsatz, dass die einfachste Annahme auch die wahrscheinlichste ist?
Passiert nicht gerade das Gegenteil davon, wenn man H nasc als Erklärung aushebelt? Irgendwie ist sie dadurch zum enfant terrible der Chemie geworden, oder? Vll. ist sie mir auch deshalb immer noch so sympathisch - mir selbst ergeht es hier im Forum ja oft auch ganz ähnlich... :wink:
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mgritsch
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Re: H nasc

Beitrag von mgritsch »

aliquis hat geschrieben: Donnerstag 22. August 2024, 18:00 Mooooment... das Hnasc-Thema hattest Du im anderen Thread höchstselbst "abgezweigt" Tschuldigung, dass ich mich erdreistet habe, eine Rückfrage dazu zu stellen...
Zugegeben, habe ich aufgebracht. Ziel war der Hinweis/Beleg dass der von dir herangezogene Wiki-Artikel über H2 nicht astrein ist. In dem Sinne hatte es noch H2-Bezug, auch wenn die originale Frage nach Lagerung schon mindestens 1 Schritt weg war.

Deine Rückfrage führt uns aber nun in die Tiefen der phys. Chemie und vertieft meinen kleinen Seitenhieb endgültig. So läuft das immer. Eines gibt das andere, du hast zu allem eine Rückmeldung und dir zu Antworten bedeutet immer die nächste Rückmeldung und Schritt für Schritt geht's Querfeldein. Konsequenterweise also am besten von Anfang an keine Antworten mehr auf deine Rückfragen um "Seitentriebe" im Keim zu ersticken?
Zum Thema: da muss ich mal sehen, wie mir Deine Antwort weiterhelfen kann (an ihr liegt es jedenfalls nicht: fundiert und ausführlich wie immer, daher auf jeden Fall Danke dafür).
Vielleicht solltest du nochmal über das (Selbst-)Studium der Chemie nachdenken. Deine Fragen sind oft durchaus fundamentaler Natur und auch wenn ich mich bemühe das verständlich zu beantworten sind dem ohne Basisverständnis Grenzen gesetzt.
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Re: H nasc

Beitrag von aliquis »

mgritsch hat geschrieben: Donnerstag 22. August 2024, 19:13 Konsequenterweise also am besten von Anfang an keine Antworten mehr auf deine Rückfragen um "Seitentriebe" im Keim zu ersticken?
Wenn das noch im Sinne eines Forums ist...
Ich selbst habe keine Probleme damit, auch Fragen links und rechts einer Ausgangsfragestellung zu beantworten - Hauptsache, es geht dabei noch irgendwie geradeaus weiter. Die besten Entdeckungen macht man oft am Wegesrand...

Deine Fragen sind oft durchaus fundamentaler Natur und auch wenn ich mich bemühe das verständlich zu beantworten sind dem ohne Basisverständnis Grenzen gesetzt.
[Ironie an ]Tjaaa, ich weiß auch nicht, wie ich all die Jahre ohne ausgekommen bin... [/Ironie aus]
Ist das noch Basisverständnis, wenn es bereits weit über Abitur-Chemie-Leistungskurs-Wissen hinausgeht? Oder fangen wir hier erst ab Universitätsniveau an? :wink:
Es ist eher viel Mathe und Physik der Chemie, die mir fehlt und die Du dann - zu Recht und mit Schwerpunktkompetenz - nachlegst.
Da müsste ich fürs Verständnis in der Tat viel nachholen und habe diesbezüglich die starke Befürchtung, dass mir das wirklich nicht mehr gelingt.
Bei Dir: einmal Mathe, immer Mathe (ist wie Fahrradfahren... - sagtest Du das nicht irgendwo?) Aber was Hänschen nicht gelernt hat,...
Böhmische Dörfer, Buch mit sieben Siegeln - wird's bei mir wohl bleiben. :(
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schlemmiloom
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Re: Aliquis fragt

Beitrag von schlemmiloom »

In Eure Streitereien möchte ich mich nicht einmischen.
Die sind sicherlich begründet, bewegen sich aber schließlich noch auf einigermaßen freundlichem Niveau.

Ohne den Ganzen Rattenschwanz überblicken zu wollen, der gerade an dieser Diskussion dran hängt, und ohne alle passenden Threads sicherheitshalbere zu durchwühlen.

Nur ganz kurz… zum Thema H nasc.:

Dem Namen nach, ist ein nascierender Stoff ein Stoff der (um es sprachlich für junge Leute verständlich auszudrücken), dabei ist gerade zu entstehen.
Oder wem die folgenden Formulierung besser passen „ … der am Entstehen dran ist“, oder „der entstehen tut“. Von mir aus auch „ … der am Entstehen dran sein tut.“ :roll:
Arme deutsche Sprache. Schnief.

So wie ich es gelernt habe, zeichnet sich der nascierende Wasserstoff dadurch aus, dass er eben noch kein „normaler“ Wasserstoff, also kein H2, ist.
Nasciernder Wasserstoff hält sich so lange er kein „normaler“ Wasserstoff ist gewöhnlich auf Oberflächen von Metallen auf, die z.B. einem Proton aus einer Lösung Elektronen übergeben.
Im Zustand des Nascierns, also so zu sagen der Geburt, der Entstehung, des Wasserstoffs, entspricht der Wasserstoff eher einem Hydrid des Metalls auf dessen Oberfläche er entsteht.
Hydride sind deutlich reaktiver als elementarer Wasserstoff, also reaktiver als H2, es ist.
Daher ist es (laienhaft ausgedrückt) einleuchtend, dass nascierender Wasserstoff reaktiver ist als H2.
Ich bitte ggf. um Korrektur.
Bei der Katalyse von Reaktionen (z.B. durch Palladium auf Aktivkohle etc.) in denen Wasserstoff als H2 genutzt werden soll, bindet sich das H2 kurzfristig auf der Oberfläche und verhält sich wie ein naszierender Wasserstoff also eher hydridartig.

Kleines Anekdötchen:
Zur Reduktion durch metallischen Zinkstaub kann ich aus eigner Erfahrung mitteilen, dass ein „aktivierter“ also nicht passivierter, frischer Überschuss an Zink bei der Aufarbeitung von organisch-chemischen Reaktionen, den man über einem Büchner-Trichter abfiltriert, freudig anfängt das Filterpapier anzukokeln, wenn nicht ausreichend Eis auf den Filter gegeben wird.

Das kann unangenehm sein, wenn man den Filterkuchen mit organischen Lösemitteln durchspülen möchte.
Dichlormethan brennt nicht ohne Weiteres, verdampft aber in der Wärme umso besser, verglichen mit anderen Lösemitteln.
Das ist besonders relevant, wenn man nicht im Probierglas-Maßstab arbeitet, sondern Edukte im zwei bis eher dreistelligen Grammbereich umsetzt.

Anekdötchen aus der Erfahrung anderer Leute wäre entsprechend das Absaugen einer Lösung über Palladium auf Aktivkohle etc. bei der zufällig größer Mengen gasförmigen Methanols in der Nähe waren, die sich spontan entzündet haben sollen. Es führte, meiner Erinnerung nach, zu einem kurzfristigen Krankenhausaufenthalt des Doktoranten.
"Eisenhut tut selten gut. Iron-hat makes people sad."

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Re: Aliquis fragt

Beitrag von aliquis »

Ja, ich denke, die Theorien rund um H nasc sind hinlänglich bekannt. Mich würde eher interessieren, wie die einschlägig bekannten Reaktionen in Gleichungsform aussehen müssen, wenn man dessen Existenz bestreitet.

Ich hatte das auch schon, dass mir elektrolytisch gewonnener Zinkstaub beim Abstreifen der Elektrode in Küchenkrepp augenblicklich das Papier in Brand setzte und ich froh war, dass der Weg von Arbeitsplatte zu Wasserhahn und Ausgussbecken bei mir keine zwei Sekunden benötigt...
Ich würde das aber auf den Zerteilungsgrad des Metalls und statische Aufladung durch die zuvor angelegte Spannung zurückführen. Darüberhinaus sind Pulver von Eisen, Zink und Leichtmetallen dafür bekannt, dass sie in feuchtem Zustand selbsterhitzungsfähig bis zur Entzündung sein können. Deshalb sollten sie so nicht im Haushaltsmüll landen, sondern kontrolliert abgebrannt oder mit Säure umgesetzt werden.
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Re: H nasc

Beitrag von mgritsch »

aliquis hat geschrieben: Donnerstag 22. August 2024, 19:47 Wenn das noch im Sinne eines Forums ist...
IMHO nein, drum hoffe ich einen anderen Weg zu finden.
Hauptsache, es geht dabei noch irgendwie geradeaus weiter.
Die Erfahrung zeigt dass nicht, zumindest nicht in die Richtung in der ein thread mal gestartet ist.
Aber was Hänschen nicht gelernt hat,...
Böhmische Dörfer, Buch mit sieben Siegeln - wird's bei mir wohl bleiben. :(
Die einzigen Grenzen sind im eigenen Kopf. :wall:
Aber wir haben hier ja auch andere motivierte Kollegen die das Selbststudium trotz aller Schwierigkeiten nicht scheuen.

Wie auch immer, angesichts der Perspektive - welchen Zweck hat es dann überhaupt Zeit für gründliche Erklärungen zu investieren?
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Re: Aliquis fragt

Beitrag von mgritsch »

schlemmiloom hat geschrieben: Donnerstag 22. August 2024, 21:56 entspricht der Wasserstoff eher einem Hydrid des Metalls auf dessen Oberfläche er entsteht.
Hydride sind deutlich reaktiver als elementarer Wasserstoff, also reaktiver als H2, es ist.
Daher ist es (laienhaft ausgedrückt) einleuchtend, dass nascierender Wasserstoff reaktiver ist als H2.
Ich bitte ggf. um Korrektur.
Korrektur folgt ;)
Hydrid ist dünnes Eis. Das würde die Anwesenheit von H- implizieren, und das ist schon stöchiometrisch nicht möglich wenn jemand bloss Zn oder Fe in etwas HCl wirft.

Auch sonstige Beobachtungen mit Metallpulvern und wie pyrophor sie sein können brauchen nicht mal H (pyrophores Fe oder Pb zB durch Pyrolyse zeigen dass feine Verteilung = große Oberfläche für eine Runaway-Oxidation reicht). Bei Edelmetall-Kat (Pd/C) der sich an der Luft sofort selbst entzündet wenn mit H beladen ist es natürlich der H. „Nascierend“ ist der in dem Fall aber sicher nicht sondern kam direkt aus der Flasche.

Ich würde bitten die zitierte Publikation wirklich mal zu lesen, sind nur 4 Seiten die das durchaus vielseitig und fundiert betrachten, das spart Spekulationen :)
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Re: Aliquis fragt

Beitrag von aliquis »

@mgritsch:
Naja, ich hatte auf eine Erklärung gehofft, die ohne mathematische Formeln auskommt...
Aber da habe ich die Rechnung wohl ohne den Wirt gemacht... :wink:
Vll. die eine oder andere Reaktionsgleichung für die genannten Beispiele, die ohne H nasc auskommt...

Um in Mathe wieder reinzukommen, reicht lesen bei mir nicht aus. Noch nicht mal ein YouTube-Tutorial.
Ich bräuchte wohl nen echten Nachhilfelehrer in live und aus Fleisch und Blut an meiner Seite, der ohne Zeitdruck Schritt für Schritt gut erklären und den man mit Fragen löchern kann, ohne dass ihm eine davon zu simpel wäre. Solange bis es mir wie Schuppen von den Augen fällt. Mathe für Dummies halt... Manchmal frage ich mich wirklich, wie ich es damals geschafft habe, mich zum Abi hin noch auf nen Zweier zu retten...
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Re: Aliquis fragt

Beitrag von mgritsch »

aliquis hat geschrieben: Donnerstag 22. August 2024, 23:55 Vll. die eine oder andere Reaktionsgleichung für die genannten Beispiele, die ohne H nasc auskommt...
Wikipedia meint zB:
MnO4- + 3 H+ + 5 H → Mn2+ + 4 H2O
Nascierender Wasserstoff vermag unter sauren Bedingungen violette Permanganatlösung zu entfärben.


Und warum nicht einfach:
2 MnO4- + 5 Zn + 16 H+ → 2 Mn2+ + 5 Zn2+ + 8 H2O

Das ist nun wirklich kein Hexenwerk.
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Re: Aliquis fragt

Beitrag von aliquis »

Was hat das anodisch generierte Permanganat in meiner Elektrolysezelle im Bereich der Kathode, wo viel Wasserstoff abgeschieden wurde, zu Braunstein zurückreduziert? Zink war da nicht drin und auch keine Säure, sondern im Gegenteil Kaliumcarbonat.
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Re: Aliquis fragt

Beitrag von mgritsch »

aliquis hat geschrieben: Freitag 23. August 2024, 00:32 Was hat das anodisch generierte Permanganat in meiner Elektrolysezelle im Bereich der Kathode, wo viel Wasserstoff abgeschieden wurde, zu Braunstein zurückreduziert?
Ferndiagnosen sind schwierig :) keine Ahnung wie du das ganze Setup gestaltet hast und was alles drin war.

Solltest du endlich den lange gesuchten experimentellen Beweis für nasc H2 gefunden haben dann publiziere ihn bitte :)
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Re: Aliquis fragt

Beitrag von aliquis »

Bislang musste ich noch nicht einmal danach suchen... :wink:

Setup simpelst und jenseits jeglicher Stöchiometrie: ein
Brocken Mangan (ca. 7 g ?) als Anode (Krokodilklemme immer brav oberhalb der Lösung), Graphitelektrode als Kathode, 250 ml Becherglas, 75 ml dest. Wasser, darin 3-4 Löffelspatel voll Pottasche gelöst, Gleichstrom 18V/1A, einige Minuten lang, bis knapp die untere Hälfte des Brockens weg war (geht schnell): viewtopic.php?p=91590&hilit=Anodische+o ... gan#p91590
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"Naszierender" Wasserstoff

Beitrag von lemmi »

Ich habe jetzt die beiden Artikel, die in der englischsprachigen Wikipedia als Quelle angegeben sind, gelesen und muss sagen, die Geschichte ist wirklich spannend!

Historisch ist die Idee des naszierenden Wasserstoffs als einatomige Form in der Mitte des 19 Jahrhunderts aufgekommen, und zwar im Kontrast zu der damals neu postulierten molekularen Struktur der Elemente. Man erklärte damit, dass Zink in saurer Lösung Permanganat reduzieren kann, gasförmiger Wasserstoff jedoch nicht. Die Hypothese spielte also durchaus eine wichtige Rolle in der Ausformulierung der Strukturtheorie der Materie. Als sie später in dieser Form unhaltbar wurde, hat man andere Erklärungen für die Reaktivität des "naszierenden" Wasserstoffs formuliert. Im ganzen führen die Artikel fünf verschiedene Erklärungsmodelle auf. Bei sowas fragt man sich natürlich, ob hier wirklich etwas erklärt werden oder nicht eher ein althergebrachter Begriff gerettet werden soll.

Ich denke, die englischsprachige Wikipedia formuliert es genau richtig: die Hypothese des naszierenden Wasserstoffs ist obsolet. Wir bedürfen ihrer heute nicht mehr. Wir können alle Reaktionen gut durch Redoxvorgänge an Oberflächen formulieren und sogar mathematisch modellieren.

Der deutschsprachige Artikel ist erschreckend schlecht! Dort wird u.a. die Tatsache, dass sich Gold in Königswasser löst, mit dem Vorkommen naszierenden Chlors erklärt! Das ist vollkommen veraltet und der Autor kennt offenbar Effekte wie die Komplexbildung und die dadurch gegebene Erniedrigung des Redoxpotentials von Gold nicht! Angesichts dieses Niveaus, ist dann auch die Erklärung der "naszierenden" RNA und deren Formung durch Chaperone für mich sehr fragwürdig, obwohl mir die Details in diesem Gebiet nicht bekannt sind.

Aufklärungswürdig finde ich noch ein, zwei Phänomene, die auf den ersten Blick der elektrochemischen Interpretation zu widersprechen scheinen. So wird am Ende des längeren Artikels (von 1990 im journal for the history of chemistry) als Beweis für die Existenz von naszierendem Wasserstoff in gelöster Form erwähnt, dass eine verdünnte Schwefelsäure, die man über Zink und dann durch ein Filter laufen lässt, angeblich Permanganat reduzieren soll. Ich habe das nicht ausprobiert. Wenn das wirklich geht, müssen da irgendwelche anderen Prozesse ablaufen.

[EDIT: ich habe mir erlaubt den threadtitel zu ändern, weil die Diskussion wissenschaftstheoretisch und historisch durchaus ein interessantes Thema ist]
"Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden. Aber nicht einfacher." (A. Einstein 1871 - 1955)

"Wer nur Chemie versteht, versteht auch die nicht recht!" (G.C. Lichtenberg, 1742 - 1799)

"Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nie gesehen haben." (Alexander v. Humboldt, 1769 - 1859)
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