Nachdem du wieder mal einen massiven Abzweiger in ein ganz anderes Thema eröffnet hast und weitere Fragen zu befürchten sind jetzt mal nach hier abgetrennt.
aliquis hat geschrieben: ↑Donnerstag 22. August 2024, 00:59
Dumm gefragt: Geben die Redoxpotentiale die Erklärung einer Reduktion direkt über das Metall wirklich in jedem Fall her?
ja, aber nicht alleine und nicht in der Form wie du sie in der Tabelle findest / liest.
Grundsätzlich findet eine Reaktion statt wenn:
- sie thermodynamisch günstig ist (negative freie Reaktionsenthalpie)
- sie kinetisch nicht gehemmt ist (Aktivierungsenergie)
- und du auch die richtige Reaktion betrachtest (zB: ist es tatsächlich Zn oder ein Zn-Komplex? ist es tatsächlich Al oder die Oxidschicht an seiner Oberfläche?)
Grafisch kann man das ganz gut anhand der bekannten Darstellung des Reaktionspfads illustrieren:
der Unterschied zwischen X und Y ist die freie Reaktionsenthalpie (Energie die entweder in Form von Wärme oder Entropie frei wird). Und die hängt direkt (verformelt, erspar ich dir) mit dem Standardpotenzial bzw der Potenzialdifferenz der beiden betrachteten Halbreaktionen zusammen.
(Anmerkung: die Grafik wie die allermeisten dazu ist diesbezüglich falsch! hier steht ΔH was gemeinhin das Symbol für die Reaktions-Enthalpie, also nur den Wärme-Anteil ist. Es müsste korrekterweise die
freie Reaktionsenthalpie sein (Gibbs-Energie) die mit ΔG bezeichnet wird. Dass auch endotherme Reaktionen sehr freiwillig ablaufen können ist denke ich hinlänglich bekannt. Merke dazu: ΔG = ΔH - TΔS)
Anders ausgedrückt: du kannst nicht aus einem zu schwachen Reduktionsmittel ein stärkeres machen, idem du es dazwischen in ein anderes (in dem Fall H2) umwandelst. Im Gegenteil, du verlierst bei jeder Umwandlung eine Teil. Alles andere wäre die chemische Version eines Perpetuum Mobile. Somit ist klar, dass Zn unbedingt das stärkere Reduktionsmittel ist als allfälliger Wasserstoff der sich daraus gebildet haben könnte. Das ist konsistent mit Zn
2+ + 2 e
- ⇌ Zn E0 = –0.76 V und 2 H
+ + 2 e
- ⇌ H
2 E0 = 0.00 V und alles andere wäre ein gröblicher Widerspruch. Man kann also alles was mit H reduzierbar ist grundsätzlich auch mit Zn reduzieren, nicht jedoch umgekehrt.
Was man gerne bei so vereinfachten Betrachtungen außer Acht lässt ist die Frage ob denn die Reaktion die man formuliert tatsächlich so abläuft wie man es am Papier vereinfacht geschrieben hat oder ob man vielleicht die eine oder andere Neben- oder Folgereaktion die auch mitspielt vergessen oder ausgeblendet hat. Praktisch am häufigsten vergessen wird, dass zB in der Lösung kein Zn
2+ vorliegt (vereinfachte Formulierung!) sondern zumindest etwas wie [Zn(H
2O)
6]
2+ odgl, je nachdem was noch alle mit in der Lösung schwimmt. Und das ist eben
nicht eh das gleiche sondern da hängt jetzt eine weitere Reaktion und somit ein weiteres Gleichgewicht und freie Enthalpie dran die mehr oder weniger viel Einfluss auf den tatsächlichen Verlauf und netto-GG-Lage haben. Schönes da sehr deutliches und bekanntes Beispiel:
Fe
3+ + e ⇌ Fe
2+ 0.771
[Fe(CN)
6]
3– + e ⇌ [Fe(CN)
6]
4– 0.358
Die Anwesenheit von Cyanid-Ionen und die daran gekettete Komplexbildungs-Reaktion hat die "Oxidationskraft" von Fe3+ von 0,77 auf 0,36 gesenkt!
Detto die pH-Abhängigkeit: entweder sie steckt schon in der Reaktionsgleichung weil darin H unmittelbar vorkommt (tut es bei Zn/Zn
2+ nicht) oder sie kommt indirekt hinein weil die Folgereaktion Zn
2+ -> Zn(OH)
2 und dessen Ausfallen das GG mit beeinflusst, um dann evtl bei höherem pH wieder in die andere Richtung zu gehen wenn es sich zum Zinkat auflösen kann. Fazit - das Potenzial ist natürlich pH-Abhängig. Einschlägige Darstellungen die all diese Spezies und den pH betrachten findet man in Pourbaix-Diagrammen, das ist sozusagen das nächste Level nach der einfachen Liste der E0.
Deine vielen Beispiele wie:
Metallisches Zink reduziert
- Nitrat im Sauren und bei niedrigen Temperaturen zu Hydroxylammonium und Aluminium im Alkalischen zu Ammoniak?
kann man damit bereits teilweise erklären wenn man nur mal genauer hinsieht was
wirklich alles passiert.
Was ebenfalls eine große Rolle spielt ist die Kinetik - oder eben anders formuliert die Aktivierungsenergie. Dass wir überhaupt existieren, verdanken wir nur ihr. Denn sonst würden N2 + O2 in der Luft schon längst zu Stickoxiden reagiert haben, das ist das thermodynamisch stabile Produkt und das würden entsprechende E0 auch vorhersagen. Auch alles andere (inklusive wir C-Menschen) wäre schon längst weg-oxidiert wenn es nur nach den E0 ginge. Je nach Reaktion kann die Barriere relativ gering ausfallen (zünde ein Holz oder H2 an) oder wahnsinnig hoch (versuche N2 zu verbrennen).
viele Reaktionen mit N-Verbindungen sind in der Beziehung auffällig, hatten wir an anderer Stelle dazu schon mal. Das erklärt dann ziemlich den Rest von zB
Metallisches Zink reduziert
- Nitrat im Sauren und bei niedrigen Temperaturen zu Hydroxylammonium und Aluminium im Alkalischen zu Ammoniak?
und was du sonst noch an Beispielen genannt hast.
Last but not least kommen wir damit zur Katalyse. Das ist keine "schwarze Magie" die die Aktivierungsenergie von irgendwoher zaubert oder verändert, sondern nur das Ermöglichen von anderen Reaktionswegen, wenn man es nur genau genug betrachtet. Eine Reaktion A -> B die kinetisch so nicht funktioniert wird in mehrere neue, andere Teilschritte A > x > y > z > B zerlegt die für sich genommen kinetisch (und natürlich auch thermodynamisch) funktionieren. In der "Makrosicht" die nur auf A und B schaut scheint es als wäre die Aktivierungsenergie plötzlich geringer geworden, aber in Wirklichkeit haben wir einfach eine völlig andere Reaktionsabfolge.
Das trifft besonders bei Reaktionen mit H2 sehr stark zu. Jeder Organiker kennt das, wenn er mit Pd/C (Palladium on Carbon) Reduktionen durchführt. Man kann H2 rein pumpen wie viel man will, ohne den Kat wird nix passieren. Was macht der Kat - er zerlegt die Reaktion in weitere Teilschritte die für sich nicht so gehemmt sind. Wenn man das jetzt "nascierend" nennen will - von mir aus, aber es wäre eine völlig unnötige Zusatz-Hypothese extra für den Wasserstoff gestrickt die zu den üblichen Erkenntnissen aus der Katalyse nichts beiträgt und daher Ockhams Messer zum Opfer fallen darf.
Will man noch ein Stückchen tiefer eindringen, dann könnte man sich jetzt auch noch mit angeregten Zuständen befassen. Prominentes Beispiel wäre da der Singulett-Sauerstoff dem man beim Verfallen in den Grundzustand sogar leuchtend zusehen kann und der auch reaktiver als die Triplett-Form ist. Detto: Wenn man das jetzt "nascierend" nennen will - von mir aus, aber es wäre eine völlig unnötige Zusatz-Hypothese die zu den bisherigen Erkenntnissen nichts beiträgt und daher Ockhams Messer zum Opfer fallen darf. Bei Wasserstoff spielt das IMHO nicht mal eine Rolle da es sowas dort generell nicht gibt, aber damit bin ich mir nicht mehr 100% sicher.
Fazit: wenn du dir verschiedene Reaktionen nicht erklären kannst, dann liegt das vor allem daran dass du sie nicht genau genug auf diesen Ebenen betrachtet hast. Eine neue Hypothese braucht es nicht, vor allem wenn zahlreiche Versuche diese bisher experimentell zu bestätigen gescheitert sind. Eine Hypothese die dem Experiment nicht stand hält ist zu verwerfen...
Zu weiteren Fragen verweise ich auf die zuletzt verlinkte, sehr gute Literatur Reedy, J. H., & Biggers, E. D. (1942). The nascent state. Journal of Chemical Education, 19(9), 403. doi:10.1021/ed019p403