"naszierender" Wasserstoff

Fragen zur allgemeinen Chemie; alles, was in keine andere Kategorie passt.

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schlemmiloom
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Re: "naszierender" Wasserstoff

Beitrag von schlemmiloom »

Nur ganz kurz, weil ich eben noch im Kopf eines Kindes ein überkompliziertes fachdidaktisches Konzept geraderücken musste, was Lehrer eintrichtern mussten, um zu erklären warum z.B. 1/4 gleich 3/12 sein sollte.

Die Dame ist leider stets sehr beschäftigt, könnte das aber fachlich wie didaktisch sicherlich hervorragend nahebringen.

Bei Zeiten schaue ich mir gerne den dubiosen Wikipedia Artikel genauer an.
Aus meiner Erinnerung, mit bescheidenen Fachkenntnissen, könnte ich mir, ohne etwas großartig nachlesen, oder anschauen zu wollen, folgendes vorstellen.

Die DNA wird im Zellkern transkribiert.
Dabei wird so zu sagen als „Abschrift“ der DNA ein RNA-Strang gebildet, der zumindest früher als prä-RNA bezeichnet wurde.
Hierbei ist der Begriff „Abschrift“ irreführend, denn es handelt sich um die zur DNA komplementären Informationen.
Das spielt aber keine Rolle, denn die notwendigen Informationen stecken genauso darin, wie sie in der DNA stecken.

Das Resultat ist also so zu sagen eine Art Roh-RNA, die man vielleicht als „derbe“ oder „naszierende“ RNA bezeichnen könnte.
Diese RNA befindet sich insofern im Rohzustand, als dass sie anschließend eine Prozessierung durchläuft, und auch durchlaufen sollte.

Dabei spielt der Prozess des Spleißens eine große Rolle.
Beim Spleißen werden Teile aus der „Abschrift“ der DNA, also aus der prä-RNA, herausgeschnitten, die beim späteren Prozess der Translation, nicht benötigt werden und dort bei „natürlichen“ Proteinen auch nicht unbedingt erwünscht sind (und sogar schädlich sein können).

Wie du sicher weist, wird bei der Translation die RNA, besser gesagt mRNA „abgelesen“ und mit Hilfe der darauf liegenden Informationen wird ein Peptid-Strang bzw. Protein oder Proteinteil durch ein Ribosom gebildet.

Kurz gesagt:
Beim Spleißen wird das an Informationen im Datensalat entfernt was am Ende nicht als Aminosäure im Protein auftauchen soll.
So könnte man im übertragenen Sinne sagen:
Aus derber, "nascierender" RNA wird ein feinstes Protein.

Weitere Modifikationen am Peptid bzw. Protein bleiben bei dieser Erklärung sicherlich auf der Strecke, aber das Gröbste könnte soweit klar sein.

Ich hoffe, dass ich mir hiermit keinen allzu großen Fauxpas geleistet habe, und deine Biochemie-Profs sich nun nicht auf meine Kosten kringelig lachen.
Also lachen dürfen sie gerne, soweit sie mich nicht auf das Übelst auslachen.

Mein Wissen befindet sich noch auf Steinzeit-Niveau und mein Gedächtnis ist teilweise doch schon sehr eingerostet und die Synapsen leiden teilweise stark an chronischer Langeweile.

Was bemerkenswert ist, wie ich finde, es steckt sicherlich keines der Atome aus der RNA im Protein.
Eine Reaktionsgleichung lässt sich nicht aufstellen. Ist das nicht Magie? :wink:

Ist dann wohl doch länger geworden als gedacht und beabsichtigt. :)
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mgritsch
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Re: "naszierender" Wasserstoff

Beitrag von mgritsch »

Kenne mich damit gar nicht aus, nach dem hier https://www.pflanzenforschung.de/de/pfl ... lt-erwisch wirkt es als wäre das einfach noch nicht fertig transkribierte, unvollständige RNA?
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lemmi
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Re: "naszierender" Wasserstoff

Beitrag von lemmi »

Soweit wie schlemmiloom das beschrieben hat weiß ich die Proteinbiosynthese auch noch. Nur: was das mit dem Konzept des naszierenden Wasserstoffs zu tun haben soll ist mir vollkommen schleierhaft. Ich glaube inzwischen, dass es hier einfach nur um ein Wortgeklingel geht. Man könnte statt "naszierend" auch "neu gebildete" RNA sagen, und die danach folgenden Prozesse haben mit dem, was man ursprünglich unter naszierendem Wasserstoff verstand, gar nichts zu tun. Genauso gut könnte man auch die gebildete Aminosäurenkette (primärstruktur des Proteins) als "naszierendes Protein" bezeichnen, weil später noch eine Sekundär- und eine Tertiärstruktur gebildet wird. Das ist einfach nur eine inflationäre Benutzung eines schön klingenden Wortes und spricht wieder gegen die Qualität des Wikipedia-Artikels. Wenn ich das nächste mal ein Präparat auskristallisieren lasse, nenne ich die kleinen neu gebildeten Kristalle auch "naszierende Kristalle".

Die Übersetzung der mRNA in ein Protein ist inzwischen vollständig aufgeklärt. Dazu gehören kleine RNA-Stücke, die sogenannte tRNA (t von Transfer), mit denen die passenden Aminosäuren aneinandergehängt werden. Jede tRNA kodiert für eine bestimmte Aminosäure und lagert sich an die passenden komplementären Basen der mRNA an. Die Verknüpfung der Aminosäuren zum Peptid geschieht dann in den Ribosomen.
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mgritsch
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Re: "naszierender" Wasserstoff

Beitrag von mgritsch »

lemmi hat geschrieben: Mittwoch 28. August 2024, 22:15 nenne ich die kleinen neu gebildeten Kristalle auch "naszierende Kristalle".
Und das Hackfleisch im Supermarkt nennen wir „nascierende Frikadelle“ ;) :angel:
aliquis
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Re: "naszierender" Wasserstoff

Beitrag von aliquis »

Nein, das liegt dafür schon zu lange... :wink:
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schlemmiloom
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Re: "naszierender" Wasserstoff

Beitrag von schlemmiloom »

Richtig lemmi, ich stimme dir voll und ganz zu.

Was naszierende Kristalle angeht, bin ich mir nicht ganz sicher, glaube aber zu wissen was du meinen könntest.
Das Prinzip ist nur schwer übertragbar und der Begriff sicherlich problematisch.
Kristallisationsprozesse sind sehr komplex und unterscheiden sich je nach auskristallisierenden Substanzen, Bedingungen und Methoden stark.

Eine völlig übersättigte Lösung zeichnet sich z.B. nicht dadurch aus, dass sie so satt ist, dass sie nicht auskristallisieren möchte. Ganz im Gegenteil. Eine solche Lösung möchte gerne spontan schnell auskristallisieren und in kurzer Zeit eine große Menge Kristalle bilden.
Es bilden sich dabei aber oft eher viele kleine Kristalle. Ein großer Kristall, der schön auskristallisiert, braucht oft deutlich länger.
Ein Impfkristall kann übersättigte Lösungen aber spontan zum Auskristallisieren bringen.

Bei RNA und den Proteinen ist das wiederum eine eigene Geschichte, ist aber natürlich nicht weniger kompliziert.
Du hast schon einige Aspekte ergänzt. Aber es ist sicherlich noch Luft nach oben.
Damit kann man durchaus viel Buchkapitel, ganze Bücher oder (ganze Studiengänge?) füllen, je nachdem wie genau das Thema behandelt werden soll.
Zumindest, wenn nicht nur natürliche, sondern auch Designer- und Reagenzglas- RNAs und Proteine einbezogen werden sollen.
von mgritsch
Und das Hackfleisch im Supermarkt nennen wir „nascierende Frikadelle“ ;) :angel:
Nein, lass mich das geringügig korrigieren.
Die Frikadelle nassziert erst in der Pfanne oder gegebenenfalls noch auf dem Grill, einer heißen Steinplatte etc., oder in einem neumodischen Gerät namens Beefer.

Das passiert also frühestens einen Reaktions-Schritt später, unter geeigneten Bedingungen.
Im Supermarkt sprechen wir bestenfalls noch vom nascierenden (Burger-) Patty.
Besser aber du wendest dich dafür an den Metzger oder Patty-Supplier deines Vertrauens.
von aliquis
Nein, das liegt dafür schon zu lange... :wink:
Nein, das ist nicht notgedrungen problematisch.
Aber zur Frikadelle wird es eben erst, während es in der Pfanne etc. nassziert (in diesem Fall angebraten wird).
Vorher ist es eventuell eine prä-Frikadelle oder ein Haufen von irgendetwas, ob nun tierischen, pflanzlichen, gemischten, oder noch ganz anderen Ursprungs.
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mgritsch
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Re: "Naszierender" Wasserstoff

Beitrag von mgritsch »

mgritsch hat geschrieben: Samstag 24. August 2024, 19:08 Lässt sich leicht prüfen, ich würde eine Fritte nehmen und verd. H2SO4 langsam durchsickern lassen, dann Zn Granalien zugeben… mache ich demnächst mal nebenbei.
für euch geprüft: negativ.
Eine verdünnte KMnO4-Lösung (1 kleines Kriställchen in ~50 ml) kräftig violett aber noch gut durchsichtig) wurde angesäuert und in einen Schliffkolben gegeben. Oben drauf die Fritte und 2 M H2SO4 rein, darin den Boden mit Zn-Perlen (~1-2 mm) feinster Qualität bedeckt. Ohne Erhitzen tut sich bei der verd. H2SO4 recht wenig, daher hab ich noch etwas konz. H2SO4 zugetropft und Wärme und Konzentration sorgen dann für ein schönes zartes H2-Blubbern.

Die durch die Fritte abtropfende Flüssigkeit (1 Tropfen / sec) war in etwa 5 Minuten durch. Auswirkung auf Permanganat: nada.
Ich habe dann die Zn-Perlen in die Permanganat-Lösung gekippt - mit Geduld wäre evtl irgendwann etwas passiert, aber binnen ~10 Minuten kein sichtbarer Effekt. Zu verdünnte Säure.

Ich habe die Lösung dann in ein Becherglas transferiert und eine Spatel Zn-Pulver zugegeben, das reagiert natürlich mit seiner Oberfläche drastisch schneller. Langsam löst es sich auf, es blubbert fleißig H2, und ganz langsam wird auch das Permanganat dann heller. Mit Zn Pulver die Fritte versauen wollte ich dann doch nicht.

Fazit:
Für mich nicht nachvollziehbar dass da "naszierender H2" runter tropfen und das Permanganat entfärben soll.
Wenn ich die Reaktion generell beurteilen soll würde ich sagen: hier laufen 2 Konkurrenz-Reaktionen unabhängig nebeneinander - Reduktion von Permanganat und Reduktion von H+. Das Zn wird von beiden konsumiert und nachdem viel H+ drin ist entsteht mal vor allem viel H2, dementsprechend langsam erfolgt die Reduktion der kleinen Menge Permanganat. Schon auf Basis der großen entweichenden H2-Mengen und doch geringen Wirkung kann da nicht viel "nascierender" H2 im Spiel gewesen sein. Das meiste blubbert fröhlich gen Atmosphäre...
aliquis
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Re: "naszierender" Wasserstoff

Beitrag von aliquis »

Prima, vielen Dank. :thumbsup:
Hätten wir das nun also auch vom Tisch...
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lemmi
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Re: "naszierender" Wasserstoff

Beitrag von lemmi »

"Doch unerbittlich folgt der schleppfüßige Versuch dem Fluge leicht beschwingter Theorie" :wink:

Danke für diese experimentelle Klärung!
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