Die Komplexzusammensetzung und Komplexbildungskonstante sind wichtige Parameter um die Eignung eines Komplexes für analytische Zwecke ermitteln zu können. Die Ermittlung der Komplexzusammensetzung erfolgt mittels der Job-Methode[3],[4] (Methode der kontinuierlichen Variation), die Komplexbildungskonstante errechnet sich aus den photometrisch gemessenen Gleichgewichtskonzentrationen der jeweiligen Spezies in der Lösung.
Sehr oft steht man vor dem Problem, dass die Absorptionsspektren von Edukt und Produkt der Komplexbildung überlappen, sodass keine unabhängige Messung der Spezies möglich ist. Manchmal kann man dazu auf Nebenmaxima ausweichen oder in der Flanke messen, das ist jedoch in der Regel mit einem merklichen Verlust an Empfindlichkeit und Genauigkeit verbunden. Mittels der Dual-Wavelength Photometrie[1], [2] kann dieses Problem elegant umgangen werden.
Als Beispiel für diese Methoden soll die Komplexbildung von Co2+ mit Tetramethylmurexid (im Folgenden mit "MMX" abgekürzt) charakterisiert werden.
Geräte:
Spektralphotometer, Küvetten, Messkolben, Pipetten, Analysenwaage
Chemikalien:
Cobalt(II)-nitrat Hexahydrat





Tetramethylmurexid, Ammonium-Salz
Natriumacetat Trihydrat
Essigsäure


Durchführung:
Zuerst wurden durch Einwiegen und Verdünnen im Messkolben folgende Lösungen hergestellt:
Cobalt(II)-nitrat 30 mmol/l
Cobalt(II)-nitrat 0,45 mmol/l
Tetramethylmurexid 3 mmol/l
Tetramethylmurexid 0,45 mmol/l
Tetramethylmurexid 0,15 mmol/l
Acetat-Puffer pH 5 0,2 mol/l
Die Verdünnungen wurden dabei jeweils durch Einwiegen der Stammlösung (die Dichte so verdünnter Lösungen kann in guter Näherung mit 1 angesetzt werden) direkt in den Messkolben hergestellt. Es erfolgte keine Ermittlung des tatsächlichen Gehalts der Stammlösungen. Die Rechnungen basieren auf der Annahme, dass alle Substanzen einen Gehalt von 100 % haben.
Zuerst wurde das Absorptionsmaximum von Tetramethylmurexid bestimmt. Dazu wurden 10 ml der 0,15 mM Tetramethylmurexid-Lösung in einen 25 ml Messkolben eingewogen, 5 ml Acetatpuffer zugesetzt und mit dest. Wasser auf 25 ml aufgefüllt. Gemessen wurde gegen einen Blank von Acetatpuffer und dest. Wasser.
Ergebnis: Absorptionsmaximum = 531 nm, berechneter molarer Extinktionskoeffizient = 7,47.103 l·mol-1·cm-1
Dann wurde das Absorptionsmaximum des Tetramethylmurexid-Co Komplexes (CoMMX) bestimmt. Dazu wurden 10 ml der 0,15 mM Tetramethylmurexid-Lösung und 10 ml der 30 mM Cobalt(II)-nitrat-Lösung (ein 200-facher Überschuss) in einen 25 ml Messkolben eingewogen, und mit 5 ml des Acetatpuffers auf 25 ml aufgefüllt. Gemessen wurde gegen einen Blank von 10 ml der 30 mM Cobalt(II)-nitrat-Lösung die mit Acetatpuffer und dest. Wasser ebenfalls auf 25 ml aufgefüllt wurde.
Ergebnis: Absorptionsmaximum = 469 nm, berechneter molarer Extinktionskoeffizient = 9,46.103 l·mol-1·cm-1
Als nächstes wurden für die Dual-Wavelength Photometrie anhand der bereits vorhandenen Lösungen noch die Extimktionskoeffizienten von MMX und CoMMX bdei der jeweils anderen Wellenlänge ermittelt.
Ergebnis: für MMX bei 469 nm 2,47.103 l·mol-1·cm-1 und für CoMMX bei 531 nm 1,52.103 l·mol-1·cm-1
Wie man bereits deutlich erkennen kann, interferieren die beiden Peaks deutlich. Der molare Extinktionskoeffizient der anderen Spezies macht jeweils etwa 20-30% aus. Legt man die Spektren übereinander, sieht das so aus:
Zur Kontrolle wurde das Absorptionsmaximum von Co2+ in der Lösung sowie der molare Extinktionskoeffizient bestimmt.
Ergebnis: Absorptionsmaximum = 513 nm, molarer Extinktionskoeffizient = 5,17 l·mol-1·cm-1.
Der molare Extinktionskoeffizient von Co2+ ist im Vergleich zu MMX und seinen Komplexen um einen Faktor mehr als 1000 niedriger, sodass diese Interferenz in weiterer Folge vernachlässigt werden kann.
Nun wurden die Messungen für den Job Plot vorbereitet. Dazu wurden folgende 5 Lösungen in Messkolben angesetzt:
(Angaben circa; genaue Mengen wurden wieder gewogen und aus den Konzentrationen der Stammlösungen die exakten Verhältnisse im Ansatz errechnet)
Für jede der Lösungen wurde nun die Absorption bei 469 und 531 nm gemessen.
Abschließend wurde noch die Stabilität von MMX in wässriger Lösung bei pH 5 ermittelt - dazu wurde über eine Stunde hinweg immer wieder die Absorption einer Probe aufgezeichnet.
Entsorgung:
Reste kommen zu den schwermetallhaltigen Abfällen.
Auswertung und Erklärung:
Zunächst die Daten und Ergebnisse der Ermittlung der molaren Extinktionskoeffizienten auf Basis der "reinen" Komponenten: Wie schon ausgeführt ergibt eine direkte Auswertung der gemessenen Absorptionen keine sinnvollen Ergebnisse. Da die Komplexbildungskonstante von CoMMX relativ niedrig ist, wird dieses Problem noch weiter verstärkt - im Prinzip muss man eine relativ kleine Menge CoMMX vor einem großen Hintergrund MMX messen. Abhilfe bringt hier die Dual-Wavelength Photometrie. Das Prinzip ist einfach - wenn 2 Komponenten x und y bei einer bestimmten Wellenlänge λ1 überlagern, dann ergibt sich die Absorption in Summe aus folgendem Ausdruck mit ε als jeweilige molare Extinktionskoeffizienten:
(1) Aλ1=εxcx + εycy
Gleiches gilt für eine zweite Wellenlänge λ2, natürlich mit jeweils anderen Extinktionskoeffizienten ε‘ der beiden Komponenten:
(2) Aλ2= ε'𝑥 cx + ε'y cy
Bildet man nun die Differenz der beiden Ausdrücke so erhält man:
(3) Aλ2 - Aλ1 = ΔA =ε'xcx + ε'ycy - ε𝑥 cx - εy cy
Für den Fall, dass εy und ε'y identisch sind, kürzt sich die Abhängigkeit von der zweiten Komponente y aus der Gleichung heraus, und die Differenz der Absorptionswerte ist nur noch eine Funktion der Konzentration von x sowie der beiden Extinktionskoeffizienten von x an den beiden Wellenlängen:
(4) ΔA =ε'xcx - ε𝑥 cx → ΔA = cx(ε'x - ε𝑥)
Das kann man bereits konkret ausnutzen, indem man zu der bei λ1 "störenden" Komponente diejenige Wellenlänge sucht, bei der sie eine gleiche Absorption hat - die zweite Messung erfolgt dann bei dieser Wellenlänge. Am Beispiel MMX / CoMMX wäre das irgendwo bei etwas weniger als 600 nm wenn man den störenden Einfluss von MMX eliminieren will:
Der Vorteil dieser Variante ist, dass man mit der Differenz der beiden Werte sofort wieder ein direkt zur Konzentration proportionales Signal vorliegen hat, das direkt in eine Kalibrationskurve übernommen werden kann. Der Nachteil ist, dass man so nur "in einer Richtung eliminieren" kann - Wenn man gleichzeitig an MMX und CoMMX interessiert ist, dann müsste man 2 weitere Messungen durchführen, bei 531 und ca. 360 nm:
Hier kann man sich mit dem Trick der "Signalmultiplikation" behelfen. Multipliziert man in obiger Gleichung (3) die Absorption bei der zweiten Wellenlänge mit dem Faktor k, der das Verhältnis der Extinktionskoeffizienten der "störenden" Komponente y ist, dann lässt sich die Abhängigkeit von der Konzentration y wieder erfolgreich eliminieren:
(5) εy cy = kε'y cy ↔ k = εy/ε'y
(6) kAλ2 - Aλ1 = ΔA =k(ε'xcx + ε'ycy) - ε𝑥 cx - εy cy
Einsetzen von (5) in (6) und kürzen ergibt:
(7) kAλ2 - Aλ1 = kε'xcx - ε𝑥 cx
und somit explizit die gesuchte Konzentration zu: Sind die Extinktionskoeffizienten beider Stoffe bei beiden Wellenlängen bekannt, kann man somit erfolgreich beide Komponenten richtig quantifizieren. Somit ist es möglich, beide Komponenten an ihrem jeweiligen Absorptionsmaximum oder sonstigen beliebigen Wellenlängen zu messen und mit nur 2 Messungen ihre Konzentration zu bestimmen. Sehr gerne nimmt man hier z.B. das Differenzspektrum der beiden Komponenten auf und nutzt die Wellenlängen mit der größten Differenz der beiden Komponenten.
Geräte, deren Hardware nach dem Dual-Wavelength-Prinzip arbeitet sind empfindlicher, da dabei die Differenzen bereits direkt auf Ebene des Detektors gebildet und verstärkt werden, doch kann das Prinzip auch nachträglich rechnerisch angewandt werden, zumindest solange die Absorptionswerte (bzw. Ihre Differenz) nicht zu klein werden, sonst steigt der Fehler relativ rasch an. Bei der Ermittlung von Komplexbildungskonstanten kann man in der Regel bequem eine ausreichend hohe Konzentration wählen sodass das keine Limitation darstellt.
Die Methode des "Job's Plot" basiert auf der kontinuierlichen Variation des Verhältnis von Metall und Ligand bei gleichbleibender Gesamt-Konzentration. Bei einem Verhältnis, das genau der stöchiometrischen Zusammensetzung entspricht, erhält man die größte Menge an Komplex, bei Abweichung in jede Richtung wird eine der beiden Komponenten limitierend. Das stöchiometrische Verhältnis kann somit direkt beim Maximum abgelesen werden. Im einfachsten Fall setzt man bei jeden Datenpunkt eine genau identische Summe der beiden Mengen Metall und Ligand ein. Weicht man davon ab, dann muss man die erhaltenen Werte für den Komplex noch durch die Summe der Konzentrationen teilen. Unter Nutzung der eben ermittelten Konzentrationen für CoMMX ergeben sich somit folgende Werte und Kurve:
Der Verlauf ist nicht ganz ideal gerade, was vermutlich vor allem an der niedrigen Bildungskonstante aber eventuell auch an der schwierigen Messung liegt. Sehr wahrscheinlich liegt jedoch ein 1:1 Komplex vor (Maximum bei ca 0,5).
Ermittlung der Komplexbildungskonstante: aus der allgemeinen Gleichgewichtsbedingung sowie der Stoffbilanz und der Kenntnis dass ein 1:1 Komplex vorliegt (n = m = 1): folgt: Die Werte für die Konzentration von MMX und CoMMX sind inzwischen bekannt, es muss nur noch eingesetzt werden: Alle fünf Messpunkte ergeben nahe beieinander liegende Werte, nur die erste Messung ergibt einen etwa 10% niedrigeren Wert und wurde als Ausreißer eliminiert. Der Durchschnitt der restlichen 4 Werte beträgt 932 mol-1(log K = 2,97). Die Messung bestätigt also, was Vorversuche schon gezeigt haben - die Komplexbildungskonstante von CoMMX ist um etwa 2 Größenordnungen zu niedrig um bei einer Titration oder im Photometer analytisch verwertbare Ergebnisse zu erhalten. Da die Komplexbildungskonstante nicht dimensionslos ist, gibt es eine Abhängigkeit von der Konzentration, durch Verdünnung dissoziiert der Komplex. Setzt man gleiche Ausgangs-Konzentrationen an Co und MMX ein, so erhält man bei einer Ausgangskonzentration von 1 mol/l einen Umsetzungsgrad zu CoMMX von 96,8%, bei 10 mmol sind es nur noch 72,2% und bei den ca 0,1 mmol die im 1:1 Ansatz vorlagen nur noch 7,9% die zum Komplex reagieren. Das zeigt erneut die große Stärke der Dual Wavelength Methode, die trotz stark überlappender Peaks weniger als 10% des Komplexes vor dem Hintergrund des MMX quantifizieren konnte.
Stabilität von MMX:
Bei wiederholter Messung einer Probe über eine Stunde hinweg konnte ein Absinken der Absorption um insgesamt 2,6 % beobachtet werden. Für rasches Arbeiten ist MMX tauglich, zu lange stehen lassen sollte man es allerdings nicht.
Bilder:
Lösungen stehen bereit zur ersten Messung
Das Photometer, ein Amersham Ultrospec 2100 Pro mit komfortablem 8-fach Probenwechsler
Spektrum von Tetramethylmurexid
Spektrum von Co-Tetramethylmurexid
Spektrum von Co2+ in Acetatgepufferter Lösung
Literatur:
[1] Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 1976, 15, 673–679 https://doi.org/10.1002/anie.197606731
[2] Analytical Biochemistry 1985, 85(1), 165-179 https://doi.org/10.1016/0003-2697(78)90287-7
[3] "Spectrophotometric Complex formation Study of Murexide with Nickel and Cobalt in Aqueous Solution" Published in: To Chemistry Journal Vol 5 (2020) ISSN: 2581-7507
[4] Job, Paul: "Formation and Stability of Inorganic Complexes in Solution". Annales de Chimie, 1928, 10(9) 113–203.