Eine Amid-Gruppe kann sowohl als Schutzgruppe eingesetzt werden als auch als Vorstufe zur Herstellung von Aminen über den Hofmann-Abbau. Eine einfache und elegante Methode um Carbonsäureamide zu gewinnen ist die Ammonolyse von Estern, die eine weit verbreitete und meist leicht herstellbare Substanzklasse sind. Man muß dabei nicht unbedingt in flüssigem Ammoniak arbeiten - durch einfaches Stehenlassen des Esters mit einer konz. Ammoniaklösung bei Raumtemperatur bildet sich in der Regel langsam das Amid der Säure und kann dann (je nach Löslichkeit) einfach abdestilliert oder abfiltriert werden. Da als Nebenprodukte nur Ammoniak, Wasser, Alkohol und ggfs. nicht umgesetzter Ester oder Ammoniumsalz der Säure zu erwarten sind, die alle gut wasserlöslich bzw leicht flüchtig sind, ist die Aufreinigung sehr einfach.
Untersucht wurde die Reaktion bereits 1906 von H. Meyer[1] der bereits feststellte, dass:
a) es generell eine gute Alternative zu Amidbildung aus Säurechlorid + Ammoniak ist da sich keine sekundären Amide oder Nitrile bilden
b) Arbeiten mit alkoholischem oder reinem NH3 keine Vorteile bietet (abgesehen vom unangenehmen Handling entstehen sogar eher mehr Nebenprodukte wie sekundäre Amide, polymere Nitrile etc. und die Ausbeuten sind schlechter)
c) Die Umsetzung funktioniert nicht oder schlecht mit Estern, die sterisch gehemmt sind oder mit Substituenten mit starkem +I/+M Effekt (z.B, Trimethylessigsäure, β-Methylcinchoninsäureester, β-Oxy-α-naphtoesäureester)
Es gibt auch eine sehr schöne Publikation[2] aus dem Jahr 1907 darüber, die sich mit dem Thema optimale Reaktionsbedingungen/Ausbeute am Beispiel Ethylacetat/Acetamid beschäftigt. Entscheidend für den quantitativen Erfolg der Methode sind vor allem ein ausreichender Überschuss am Ammoniak (mindestens 2-facher molarer Überschuss) sowie etwas Geduld (Tage bis Wochen).
Hier soll anhand von drei Beispielen das Vorgehen und die recht breite Anwendbarkeit gezeigt werden.
Geräte:
Erlenmeyerkolben mit Stopfen, Bechergläser, Filternutsche, ggfs. Destillationsapparatur
Chemikalien:
27% Ammoniaklösung
Ethylacetat
Methylbenzoat

Methylphenylacetat
zur Umkristallisation:
Toluol
Diethylether
Methanol
Acetamid
Benzamid
Phenylacetamid

Durchführung:
Acetamid: in einem 250 ml Erlenmeyerkolben wurden 50 ml (44,9 g, 0,51 mol) Ethylacetat und 75 ml konz. NH3 (27%, 1,07 mol) vorgelegt und 4 Wochen mit Stopfen verschlossen stehen gelassen. Bereits nach etwas mehr als einem Tag war keine Phasengrenze mehr zu beobachten. Laut Arbeitsvorschrift[1] wäre eine praktisch quantiative Umsetzung bereits nach 13 Tagen erreicht. Nach 4 Wochen wurden zuerst Ammoniak, Wasser, Alkohol und ggfs. nicht umgesetzter Ester abdestilliert und dann das hinterbliebene Acetamid durch Vakuumdestillation abgezogen, wobei kaum ein Rückstand hinterblieb. Rohausbeute 29,1 g (96,8% d.Th). Dann wurde nochmals aus Methanol/Diethylether 1:5 umkristallisiert um die riechbar vorhandenen Reste an Essigsäure zu entfernen die sich vermutlich durch tlw. Zersetzung bei der Destillation gebildet hatten. Schmelzpunkt 78 - 81 °C (Lit: 81 °C), Ausbeute 25,4g (84,5% d.Th.)
Benzamid: in einem 100 ml Erlenmeyerkolben wurden 24,8 g (0,182 mol) Methylbenzoat und 50 ml konz. NH3 (27%, 0,715 mol) vorgelegt und insgesamt 4 Wochen mit Stopfen verschlossen unter gelegentlichem Umschütteln stehen gelassen. Das Methylbenzoat stammte aus einem anderen Vorversuch und war u.a. mit Benzaldehyd verunreinigt - beim Zusammengeben verfärbte sich die Mischung daher braun-grünlich. Durch gelegentliches starkes Rühren wurde der Ester suspendiert um die Reaktion anfangs etwas zu beschleunigen. Erst nach über einer Woche war eine erste Abscheidung von Kristallen erkennbar. Dazwischen wurde die Mischung immer wieder gut umgeschüttelt. Über die nächsten Wochen konnte der Reaktionsfortschritt gut daran erkannt werden, dass sich an der Flüssigkeitsoberfläche bzw. an der Glaswand immer wieder neue, teils große säulenförmige Kristalle bildeten. Erst in der vierten Woche war keine weitere Kristallbildung mehr zu erkennen bzw. erschienen die Kristalle nicht mehr durch Flüssigkeit zusammenklebend und wurden abgenutscht. Zur Reinigung wurden die Kristalle etwas zerkleinert und mit etwas verdünnter HCl gewaschen (Hydrobenzamid als mögliche Verunreinigung aus dem Benzaldehyd stammend hydrolysiert unter diesen Bedinungen sehr rasch), und aus ca 100 ml dest. Wasser umkristallisiert. Rohausbeute 17,15 g (78% d.Th). Aufgrund des unreinen Ausgangsprodukts war das Produkt trotz Umkristallisation leicht cremefarben verfärbt und der Schmelzpunkt entsprach noch nicht, daher wurde noch einmal aus Wasser und einmal aus Toluol umkristallisiert. Das fertige Produkt war fast ganz weiß. Schmelzpunkt 123 - 127 °C (Lit: 124–127 °C), Ausbeute 15,44 g (70,0 % d.Th.).
Vermutlich kann man bei Einsatz einer reinen Ausgangssubstanz das Produkt ohne weitere Reinigungsschritte sofort verwenden bzw. sind dann auch höhere Ausbeuten zu erwarten. Der absichtliche Einsatz einer verunreinigten Substanz erfolgte vor allem als Test wie gut die Amid-Bildung als Reinigungsverfahren taugt zumal die Amide oft sehr gut umkristallisierbar sind.
Phenylacetamid: in einem 100 ml Erlenmeyerkolben wurden 30 ml (31,8g g, 0,212 mol) Methylphenylacetat und 50 ml konz. NH3 (27%, 0,715 mol) vorgelegt und 3 Tage mit Stopfen verschlossen unter gelegentlichem Umschütteln stehen gelassen. Bereits nach einem Tag war der Kolben halb mit feinen weißen Kristallblättchen gefüllt, nach 2 Tagen war keine Ester-Phase mehr zu sehen bzw. kam es nach dem Zusammenschütteln der Kristalle zu keiner erneuten Abscheidung in der überstehenden Lösung. Nach 3 Tagen wurden die Kristalle abgenutscht, mit etwas Wasser mehrfach nachgewaschen und im Exsikkator getrocknet. Schmelzpunkt 156-158 °C (Lit: 156 °C), Ausbeute 23,7 g (82,2 % d.Th.). Durch Einengen der Mutterlauge könnte vermutlich noch etwas mehr Produkt gewonnen werden.
Entsorgung:
Abfälle kommen zu den halogenfreien organischen Abfällen.
Erklärung:
Durch nucleophilen Angriff eines NH3 auf das C der Carbonylgruppe bildet sich unter Abgang des Alkohols das Amid. Optimal ist der Einsatz von Methyl- oder Ethylestern.

Fazit: die Reaktionsgeschwindigkeit ist bei den getesteten Substanzen durchaus unterschiedlich, in Summe konnten jedoch alle erfolgreich und in hoher Ausbeute in das Amid überführt werden. Wenn die Ausgangsstoffe von hoher Reinheit sind, sind dabei oft keine weiteren Reinigungsschritte erforderlich. Fraglich wäre noch inwieweit die Temperatur zur Beschleunigung genutzt werden könnte. Natürlich würde bei höherer Temperatur die Reaktion schneller ablaufen, andererseits könnte es ein Problem sein, unter Rückfluss-Bedingungen den NH3 in ausreichender Konzentration in der Lösung zu halten. Weiters ist noch fraglich, inwieweit bei höherer Temepratur die Konkurrenzreaktion der Hydrolyse zur Carbonsäure überhand nimmt sodass letztendlich keine guten Ausbeuten bzw. aufwändigere Reiningung erforderlich werden.
Bilder:

Kristalle von Benzamid wachsen an der Oberfläche

nach 2 Tagen ist der Kolben bereits gut mit Kristallen von Phenylacetamid gefüllt

Fertiges Phenylacetamid - glitzernde leichte reinweiße Blättchen

Fertiges Acetamid
Literatur:
[1] H. Meyer, "Über Säureamidbildung und Esterverseifung durch Ammoniak"; Monatshefte für Chemie (1906) 27: 31.
[2] I. K. Phelps and M. A. Phelps: "Preparation of acetamide by the action of ammonium hydroxide and ethyl acetate"; Am J Sci November 1, 1907 Series 4 Vol. 24:429-432